Kolosse. Gigantisches in Altertum und Neuzeit
Der Mensch erstarrt in Ehrfurcht vor übermenschlicher Größe. Das Altertum formte diesen ersehnten Schauder in eine Rangliste um, die sieben Weltwunder. Diese verband Werke Ägyptens, Babyloniens und Griechenlands unter dem gemeinsamen Maßstab des Gigantischen. Mythos und Märchen führten den Riesen als Schreckensbild bis in unsere Zeit.
Das Vorbild des Orients animierte die Griechen zum Bau von Riesentempeln wie zur Schöpfung kolossaler Götterbilder. Die Athena im Parthenon von Athen und der Zeus in Olympia waren beide etwa 12 m hoch. Im Hellenismus, nachdem Alexander der Große Vorderasien erobert hatte, steigerte sich der Hang zum Gigantischen. Die Bronzefigur des Kolosses von Rhodos, ein Bild des Sonnengottes, setzte mit über 30 m einen neuen Höhenmaßstab. Die Römer imitierten den Sonnengott von Rhodos und schufen mit der Nerostatue in Rom die höchste Bronzefigur des Altertums. Kolossaltempel blieben im Altertum ein Phänomen von den Griechen der Frühzeit bis in die römische Kaiserzeit.
Im christlichen Mittelalter Europas waren die Kathedralen das Feld des Höhenwettstreits. Dann begann mit dem 18. Jahrhundert nach dem Vorbild des Altertums die Zeit der modernen Kolossalstatuen als Träger politischer Botschaften, vom Herrscherideal (Kasseler Herkules) über Schutzpatronat (Bavaria München; Christus Rio de Janeiro) bis zur Freiheitsbotschaft (Freiheitsstatue New York) und Siegesfeier (Hermannsdenkmal; Niederwalddenkmal).
Zum wahren Höhenrausch des 20. und 21. Jahrhunderts entwickelten sich die Hochhäuser und Fernsehtürme. Die 2001 zerstörten Zwillingstürme des World Trade Center in New York waren mit 412 m einmal Weltrekord; inzwischen bewegen sich Fernsehtürme (z. B. Tokio) in Höhen von über 600 m. Im Grunde sind dies alles Weiterführungen des großartigen Leuchtturmes von Alexandrien aus dem 3. Jh. v. Chr. (Pharos von Alexandrien; 113 m). Die Kolossalwerke des Altertums als Skulpturen, Tempelbauten und Zweckbauten wirkten anregend über die Zeiten hinweg.