JOHANNES KODER  

An der Ostseite ist an den Bau eine nach aussen halbkreisförmig vorspringende Apsis angesetzt, an den übrigen drei Seiten befinden sich monumentale, oben durch Rundbogen abgeschlossene Toröffnungen (11). Die Apsis (Abb. 3) ist nicht durch Mauerfugen von der Ostwand gesondert; sie entstammt also der selben Bauphase wie letztere.

Memorialbau
Abb. 3: "Memorialbau", Ostseite mit Apsis. Alice Koder (Zaingrub).


In der Mitte des Baues (Abb. 4) befindet sich eine in etwa rechteckige, sehr seichte Vertiefung mit deutlichen Sarkophagspuren (Maße etwa 1,8738 x 0,9369 m, also exakt etwa 6 x 3 byz. Fuß). Der Sarkophag ist nicht mehr vorhanden, doch ergab ein aussergewöhnlich oberflächlicher Survey deutliche, bis auf den gewachsenen Fels reichende Brandspuren mit reichlichem Aschesuperstrat, vermengt mit zähklebrigem Abschaum von Aloe vera (dem beliebten Verfälschungsmittel für Weihrauch). Dieser konnte pyrosvestisch (Methode Firemen-Aufeu) datiert werden, woraus sich ein pyromanischer Nutzungszeitraum von etwa 1630/20 B.P. bis 1440/30 B.P. (12) ergibt.

Daraus lässt sich folgender chronologischer Rahmen erschließen: Da der Hl. Nikolaus wohl ziemlich genau um 343 starb (13) und der Krampus, als wenig jüngerer Zeitgenosse, bald vor der Jahrhundertwende einen gewaltsamen Tod erlitten haben dürfte, wird man den ursprünglichen Memorialbau - in Übereinstimmung mit dem pyrosvestischen Befund - in das letzte Drittel des 4. Jahrhunderts, jedenfalls aber deutlich postjulianoapostatisch datieren dürfen. Seit damals entwickelte sich hier, am Grab des Krampus ein Kult, bei dem das Verbrennen wohlriechender Substanzen, wohl zur Überduftung des schwefligen Geruchs, der dem Sarkophag entwich, eine beherrschende Rolle spielte (14).

Memorialbau Abb. 4: "Memorialbau", Inneres des Naos von Norden. Alice Koder (Zaingrub).

Der Kult ist hier wohl bald nach 564 aufgegeben worden - und dies nicht zufällig, denn in diesem Jahr starb der Hl. Nikolaus von Sion und nur 1 Jahr später Kaiser Justinian, der von Prokop nicht als Mensch, sondern als Dämon in Menschengestalt  (... οὐκ ἄνθρωπος, ἀλλὰ δαίμων τις, ὥσπερ εἴρηται, ἀνθρωπόμορφος ...) bezeichnet wurde (15). So bedarf es keiner weiteren Beweise dafür, dass damals auch die Krampuswallfahrt bei Limyra ein Ende fand.

Exakt etwa zu dieser Zeit freilich wird nahe dem etwa 40 km nordöstlich von Finike gelegenen Olympos, bei Ulupinar, in der Flur Chimaira eine dreischiffige Basilika erbaut, deren malerische Ausstattung von typisch ikonoklastischer Bewegtheit der Figuren und Farbenpracht war. Für Details der Architektur und der Innenausstattung sei auf die einschlägige Literatur verwiesen (16). Hier interessiert, dass ein nordöstlicher Annexbau der Kirche exakt dieselben Sarkophagbodenkratzspuren aufweist wie der Memorialbau bei Limyra, woraus folgert, dass der Krampus-Sarkophag - vielleicht nach einer kurzen Zwischenlagerung auf der "Krampus-Insel" Krampusa (17) - hierher transferiert wurde. Die chimairische Pilgerkirche blieb, wie enzephalometrische Verkalkungsanalysen früh-christlicher ArchäologInnen belegen, bis zum Ende des Ikonoklasmus im 9. Jahrhundert in Gebrauch.

Bedenkt man nun, dass bei der Chimaira (türk. Yanartaş, d.h. "brennender Fels"), bis heute einem vulkanischen Abhang allenthalben Methangas dem Boden entströmt und in düster emporlodernden Flammen verbrennt, und dass die dort befindliche Basilika über einem antiken Hephaistos-Tempel erbaut wurde, so ist damit hinlänglich erklärt, warum der Krampus-Kult nach 564/5 just hierher verlegt wurde. Die Zeit des Ikonoklasmus (ca. 730 bis 843) war eine Blütezeit des Chimaira-Heiligtums, da damals dort alle Ikonen des Byzantinischen Reiches verbrannt wurden. Zudem war, wie der Patriarch Johannes von Antiocheia im 11. Jahrhundert bezeugt (18), der Ikonoklasmus eine Erfindung des Teufels zur Bekämpfung des Mönchtums.

Dann aber kam es mit der Restaurierung der Bilderverehrung zum Niedergang des Heiligtums: Die Pilgerstätte musste 843 aufgegeben werden und die Amtskirche tat gut daran, sich auf die Wurzeln des Krampuskultes, also auf die Gemeinsamkeit mit dem Hl. Nikolaus zu besinnen. Dies hatte zur Folge, dass - genau ein halbes Millenium nach dem Tod des Hl. Nikolaus! - eine erneute Zusammenführung des ungleichen Paares erfolgte, indem der Krampus nach Myra gebracht und dort neben den Hl. Nikolaus gebettet wurde (19).

Es sollte freilich nicht seine letzte Ruhestätte sein: Im späten 11. Jahrhundert brachen ruchlose Kaufleute von der Apenninenhalbinsel auf, um den Hl. Nikolaus nach Bari zu entführen: Exakt am 4. September 1087 öffneten sie einen (20) Prunksarkophag in der Bischofskirche zu Myra und entnahmen ihm die sterblichen Reste des darin zur ewigen Ruhe Gebetteten. - Was sie nicht wussten: Kurz zuvor hatten gewitzte Episkopalkleriker die Gebeine des Hl. Nikolaus in einen diskreten Annexbau zurückgebettet, der schon in frühbyzantinischer Zeit nordöstlich an die Bischofskirche angesetzt worden war (21). So vermochten die räuberischen Reliquienverehrer lediglich nach Bari zu verschiffen, was am Krampus sterblich war. Nicht nur der Nikolaus kann somit auf eine Seefahrertradition verweisen (22), sondern auch der Krampus.

Wie stark die zuletzt beschriebenen Ereignisse, wiewohl sie sich vor bald einem Jahrtausend zutrugen, bis heute im historischen Gedächtnis und in der oralen Tradition Lykiens verwurzelt sind, zeigt folgende, auch für den interethnischen Diskurs bedeutsame Beobachtung: Ältere Eingeborene pflegen, wenn sie in Demre bei der Nikolaus-Kirche italienischen Touristen begegnen, einander augenzwinkernd und schmunzelnd zuzurufen:

Kırampus'a hürmet etemeyen
Nikolo'ya değmez!
(23)

Anhang I: Epigraphica

Nicht mehr auffindbar ist eine lediglich im verschollenen Teil des Reisetagebuches (1588/89) des Reinhold Lubenau (24) zu suchende, fünfzeilige Inschrift, die angeblich über dem Westeingang des "Memorialbaues" bei Asarönü in einer Tabula Ansata angebracht war:

[...] ΑΣΕΜΝΟΥ ΤΟΥΤΟΥ ΤΕΜΕΝΟΥΣ ΕΝ ΜΙΑΡΕΥΣΕΙΝ
ΔΕΥΤΕΡΟΣ ΚΡΑΜΠΟΣ Ο ΑΝΟΣΙΩΣ ΗΓΗΣΑΜΕΝΟΣ
ΝΙΚΟΛΑΟΥ ΕΚΡΥΨΕΝ ΚΑΗΓΟΡΙΑΣ ΔΑΙΜΟΣΙΝ ΑΘΛΙΟΙΣ
ΚΑΙ ΜΑΡΤΥΡΕΙ ΤΑ ΚΤΙΣΜΑΤΑ ΚΑΙ ΠΨΡΣΟΥ ΛΕΠΤΑΛΕΟΥ
ΑΣΥΜΜΕΤΡΟΣ ΚΟΣΜΟΣ
[... ca. 20 Buchstaben ...]

... als zweiter unter den Schmuddelpriestern dieses ekligen Heiligtumes hat Krampus in gottloser Weise den Nikolaus angeführt und den elenden Dämonen die Anklagen verheimlicht, und es bezeugen die Bauten und der zarten Fackel unregelmäßige Zier ...

Die verblüffende Ähnlichkeit mit der Inschrift der "Thyrsos(!)-Basilika" in Tegea (Griechenland) sei hier nur am Rande erwähnt (25).

Anhang II: Etymologica

Der Name Krampus ist herzuleiten von κράμπη (26), einer durch Sklerose des Verschlusslautes (β > π) entstandenen Nebenform von κράμβη, welches klassisch die männliche Hauptbedeutung "Kohl" hat (27) (ohne dass deswegen automatisch die weibliche Bedeutung "Kohle" auszuschließen wäre). Der Name ist als Hypokoristikon κράμπη > κράμπους, vgl.  ὠδή > ὀδούς zu verstehen, wie er im ptolemäischen Ägypten geläufig ist, wobei auf die Möglichkeit einer iranischen Wortwurzel nachdrücklich hingewiesen sei (28), die Bedeutung somit etwa "kleiner Kohlenträger", welche Bedeutung mit der Tätigkeit des Krampus in Verbindung zu bringen ist, der in volkstümlicher Vorstellung ja eine Kohlenbutten am Rücken trägt (29).

Der Namen Nikolaos ist etymologisch unkomplizierter: Er bedeutet wörtlich "der das Volk besiegt", im übertragenen Sinn dann seit der Kaiserzeit "der das Volk für dumm verkauft", also einfach: "Politiker".

Anhang III: Hinweise

Alle Zitate in den Fußnoten sind echt und textkonform.

Einige Hinweise und Korrekturvorschläge sind ernst gemeint. Welche? Dies möge der / die p.t. LeserIn gefälligst selbst herausfinden (30).

Abbildungsverzeichnis und Abbildungsnachweis

1. Crampus ordinaerius microcephalus, var. austriacus, subsp. ruber et niger
2. Asarönü bei Limyra, "Memorialbau", von Südwesten
3. "Memorialbau", Ostseite mit Apsis
4. "Memorialbau", Inneres des Naos von Norden
5ff. Crampi nudi diversi, ob nimiam perversionem censura submersi.

Abb. 1: Pressedienst des Bundesministeriums für Regierungsbildung (Wien), Abb. 2-4: Alice Koder (Zaingrub).

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