FAHRI IŞIK  
Die anthropomorphe Halbstatue der "Eni Mahanahi" aus Letoon

G.E.Bean berichtet (1): "The curios statue was found by us lying on top of a hedge near the theatre. It is 0.96 m. in hight an 0.43 m. in maximum breadth; the trunk is cut off a little below the waist. The back is flat, but quite rough. The figure is female, with hair tied back with a bandeau; the face is round, with large eyes; the nose is long and straight, with a straight groove down either side of it; the cars are shapeless lumps. The neck is left thick, and the arms are mere stumps projecting forward. The material is a curious variegated grey- and- white limestone, highly unsuitable for its purpose..."

Eni Mahanani Eni Mahanani
Abb. 1: Halbstatue der "Eni Mahanahi" aus Letoon. Fethiye, Museum.
Abb. 2: Seitenansicht von Abb.1.

Dieser eigenartige Befund aus Letoon (Abb.1.2) fand nach seiner Veröffentlichung im Jahre 1948 in der Forschung kaum eine Beachtung. Nur einige Male wurde er kurz erwähnt: Bean interpretierte diese "merkwürdige Steinfigur" auch später noch als eine "offensichtlich nicht vollendete und abgebrochene Übergangsarbeit eines Schülers"; H.Metzger bezeichnete sie als "formloses Idol" und ich als "Große Göttin, als Artemis oder als Leto" (2).

Trotz der für die Anfertigung einer Statue ungünstigen Beschaffenheit des lokalen Kalksteins und trotz des schlechten Erhaltungszustandes wird eine typologische Untersuchung der Figur zeigen, daß sie keineswegs ein "pupil's exercise" und "evidently unfinished" (3) gewesen ist. Denn wie aus der Beschreibung von Bean selbst hervorgeht, besteht die Figur lediglich aus Kopf und Oberkörper. Der Körper ist vorn und seitlich abgearbeitet, an der Bauchpartie leicht gewölbt und endet unterhalb der Gürtellinie horizontal in einer Standfläche. Beide Arme sind nur im Ansatz wiedergegeben. Kopf und Körper gehen fast ohne Halsangabe ineinander über, der runde Kopf wirkt übermäßig groß. Das Gesicht zeichnet sich durch runde Wangen und große, ovale Augen aus. Alle weiteren Glieder der Figur sind zerstört.

Kybele Gordion Abb. 3: Halbstatuette der Kybele aus Gordion. Istanbul, Archäologische Museen.

Diese Art von Bildwerken hat auf anatolischem Boden eine lange Tradition, die bis auf das Neolithikum zurückgeht (4), in der Urfa-Region sogar auch als ithyphallische männliche Figur (5). In der Bronzezeit wurde diese Form weiter tradiert (6) und erfreute sich schließlich in der frühen Eisenzeit bei den Phrygern in vielen Variationen großer Beliebtheit (7). In Phrygien findet sich nämlich das lykische "Idol" bei einem bestimmten Typus, nämlich den anthropomorphen Halbstatuetten, die in der Grundform den unmittelbaren Vorbildern (Abb.3) (8) ähneln, zu denen auch der phrygisch-ionische "Torso" von Alanya gehört (9). Das "Idol" von Letoon besitzt unterhalb der Bauchhöhe einen horizontalen Abschluß als Standfläche, war also als Halbfigur konzipiert. Der Tatsache, daß bei den phrygischen Halbstatuetten zusätzlich zu den Gesichtszügen auch die Arme, die angewinkelt vor dem Körper liegen und Symbole halten, vollständig dargestellt sind, ist für die Sache nicht von Belang, weil eine Reihe von frei skulptierten "Idolen" des Typus aus Hattusa die einfachste Art eines menschlichen Körpers mit großem Kopf und einfachen Gesichtszügen wiedergibt (Abb.4) (10) und mit dem lykischen Idol aus Letoon eine Gruppe bildet11. Schließlich gibt es ein aus dem Felsen gehauenes "Idol" in Keskaya bei Kütahya (Abb.5) (12), bei welchem die Arme ebenfalls nur im Ansatz wiedergegeben sind.

Kybele Hattusa Kybele Keskaya
Abb.4: Halbstatuetten der Kybele aus Hattusa (F.Naumann, Taf.9 a.b). Abb.5: "Felsidol" der Kybele in Keskaya (F.Naumann, Taf.10c).

Alle diese phrygischen Verwandten der anthropomorphen lykischen Halbstatue sind in der altanatolischen Tradition weiblich gebildet und stellen eine Göttin dar, die im alten Hatti-Land als frei skulptiertes Bild oder im Westen als in den Felsen gehauenes Idol ursprünglich mit der neolithischen Göttermutter Anatoliens zu identifizieren ist (13). Bei den Phrygern der frühen Eisenzeit hieß sie Kybele (14). Diese thrakischen Einwanderer hatten im Kulturbereich ihrer neuen Heimat die Muttergöttin Kubaba kennengelernt, übernommen und verehrt. Darüber hinaus vermittelten sie deren Bildformen an die zeitgenössischen Werkstätten an der ägäischen Küste (15). Da in Lykien bezüglich der offenen Felsheiligtümer als Kultstätte einer im Wesen mit Kybele verwandten Göttin ein deutlicher phrygischer Einfluß festzustellen ist (16), ist es berechtigt, dieselbe Einflußnahme auch auf die bildlichen Darstellungen der Göttin anzunehmen; die oben festgestellte bildmotivische Identität zwischen den Halbstatuetten aus Phrygien und dem Idol von Letoon bestätigt dies.

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