EKKEHART WEBER  
Die römische Donaubrücke bei Debrecen

Trajanssäule
Abb. 1. Die Darstellung der Donaubrücke auf der Trajanssäule. Nach Karl LEHMANN HARTLEBEN, Die Trajanssäule (1926) Tafel 45 (Ausschnitt).

Zu den bedeutendsten Leistungen des bedeutenden Architekten Apollodorus von Damaskus gehört die Errichtung der großen Donaubrücke, vermutlich knapp vor oder im Jahr 105 n. Chr., die während des zweiten Feldzuges des Kaisers Trajan gegen das Dakerreich des Decebal 105/106 n. Chr. der römischen Armee das Überschreiten der Donau und einen mühelosen Nachschub ermöglicht hat. Die antiken Quellen sind, wie für diese Kriegsereignisse überhaupt, relativ spärlich (1). Cassius Dio allerdings gibt eine bewundernde Beschreibung dieses Bauwerks; bei seinem Hinweis, daß Hadrian sie habe abbrechen lassen und zu seiner Zeit nur mehr die Pfeiler zu sehen seien, klingt deutliches Bedauern durch (2). Eine antike Darstellung der Brücke findet sich auf der Trajanssäule (Abb. 1).

Bereits vor vielen Jahren hat mich nun Erna Diez darauf aufmerksam gemacht, daß im Artemis-Lexikon (3) dazu folgender Text steht:

"Werke (des Apollodoros von Damaskos): Donau->Brücke bei Debrecen/Ungarn, vermutlich auf der Trajanssäule dargestellt".

Eine rasche Nachschau ergab, daß auch im "Kleinen Pauly" (4) eine ähnliche Formulierung verwendet wird:

"Unter Traian erbaute er (sc. Apollodoros aus Damaskos) 102-105 die große Donaubrücke bei Debrecen, deren Abbild auf den Reliefs der Traianssäule erhalten ist".

Spätestens jetzt ist vielleicht der Hinweis angebracht, daß diese Donaubrücke, deren Reste heute noch zu sehen sind, nicht bei Debrecen in Ungarn errichtet worden ist, sondern bei Drobeta - Turnu Severin in Rumänien (5). Debrecen ist selbst in Luftlinie etwa 333 km entfernt, verfügt über keinen Fluß, der eine solche Brücke gerechtfertigt hätte, und auch bis zur Donau im Westen, bei Budapest, sind es noch 230 Straßenkilometer (Abb. 2).

Doch damit nicht genug. Für Kenner seiner besonderen Eigenheiten bedeutet es vermutlich keine allzu große Überraschung, daß auch "Der Neue Pauly" (6) wortreich schreibt:

"seine (des Apollodoros aus Damaskos) ersten Architekturleistungen entstanden ... in den Dakerfeldzügen Traians, darunter die Donaubrücke bei Dobretae (heute Debrecen; Prok. aed. 4,6,11 ff.), die sich auf den Reliefs der Traianssäule als wesentliche Leistung im Rahmen der Dakerkriege abgebildet findet und sich absichtsvoll in die Nachfolge bedeutender Vorbilder wie der Brückenschläge der pers. Großkönige Dareios und Xerxes sowie Cäsars Rheinbrücke stellt".

Damit erhebt sich die Frage, woher diese Ansicht von der römischen Donaubrücke bei Debrecen stammt. Denn daß drei Gelehrte in doch renommierten Handbüchern unabhängig voneinander durch jeweils eigene Forschungen, so gerne wir das auch annehmen wollten, zu diesem Ergebnis gekommen wären, ist wenig wahrscheinlich. So könnte zunächst eine innere Abhängigkeit vermutet werden, wobei wissenschaftlicher Streß, wiederholte Mahnungen der Herausgeber und die relative Bedeutungslosigkeit der Sache selbst - wer interessiert sich denn wirklich für eine antike Donaubrücke auf dem Balkan (7) - die Bearbeiter davon abgehalten hat, bei Abfassung des Manuskripts auch einen Blick in eine Karte zu werfen. Allerdings scheint gerade "Der Neue Pauly" den Schlüssel zur Lösung des Rätsels zu bilden. Zwar verweisen alle drei bisher genannten Artikel bei der Angabe von Literatur zu diesem Stichwort auf Ranuccio BIANCHI BANDINELLI, EAA 1 (1958) 477-480, aber nur dort taucht die eigenwillige Form des antiken Ortsnamens auf, "Dobretae" statt Drobeta, wie der Ort in den antiken Quellen sonst immer genannt wird (8). Die betreffende Stelle in der "Enciclopedia dell' arte antica" a.a.O. 477 lautet:

(Werke des Apollodoros, die in den literarischen Quellen genannt werden:) "Il ponte sul Danubio, costruito fra la prima campagna dàcica di Traiano (101-102 d.C.) e la seconda (105-107) ... è raffigurato sulla colonna traiana. L'opera, di arditissima tecnica, della lunghezza di oltre un chilometro, ha lasciato avanzi presso l'antica Dobretae, oggi Debrecen in Ungheria".

Aus chronologischen und sachlichen Erwägungen scheint damit der Urheber der "Debrecen-Theorie" gefunden (9). Ihr hartnäckiges Fortleben verdankt sie einer geglückten Kombination aus deutschem Autoritätsglauben, wissenschaftlichem Beharrungsvermögen und romanischer Großzügigkeit im Umgang mit fremdsprachlichen Begriffen (10).

Karte
Abb. 2. Kartenskizze auf der Grundlage des Dierke Weltatlas - Österreich (1995), Blatt 90 (1 : 4000000).

Es wäre nun sehr verlockend, zumal in dieser Festschrift, den umgekehrten Weg zu beschreiten und die naheliegende Vermutung zu äußern, daß so viele Forscher doch nicht geirrt haben können - immerhin steht ihrer Autorität doch auch nicht mehr als meine kaum bewiesene Behauptung entgegen. Kann denn die berühmte Donaubrücke nicht wirklich bei Debrecen errichtet worden sein (11)? Einem Architekten vom Format eines Apollodorus von Damaskus hätte es doch auch gelingen können, die Donau um dieser Brücke willen abzuleiten (12). Wir hätten damit vielleicht die bedeutendste Leistung dieses Mannes vor uns, und müssen unsere Vorstellung von den Feldzügen Trajans vielleicht dahingehend korrigieren, daß der Hauptstoß nicht vom Süden her, sondern aus dem Westen erfolgte - die von Trajan selbst überlieferten Etappenorte auf dem Marsch, Berzobis und Aizi, haben bislang einer sicheren Identifizierung widerstanden , wohl weil man sie bisher in einer ganz falschen Gegend gesucht hat (13).

Diese große Aufgabe - die Ableitung der Donau - ist vermutlich auch Ursache für den Tod des Architekten gewesen (14). Während der Vorbereitungsarbeiten für dieses Unternehmen (noch unter Trajan, wie ausdrücklich gesagt wird) hat Apollodorus Hadrian aufgefordert, Kürbisse (!) zu zeichnen: "ἄπελθε καὶ τὰς κολοκύντας γράφε ..." (15). Diese sonst völlig unverständliche Aufforderung wird nur verständlich, wenn man annimmt, daß Hadrian - 107 als Statthalter von Pannonia inferior bezeugt (16) - den Sinn dieser Ableitung der Donau nicht einsah und, um den landwirtschaftlichen Ertrag seiner Provinz fürchtend, Listen mit deren Hauptprodukten dem Kaiser vorzulegen versuchte (17). Nach dem Tod Trajans wurden diese offenbar noch nicht abgeschlossenen Arbeiten daher eingestellt - und der kühne Architekt hingerichtet. Selbst auf die Gefahr hin, damit einen Schatten auf das Andenken des Apollodorus von Damaskus zu werfen, weisen wir auf di e ökologische Bedenklichkeit solcher megalomaner Bauvorhaben hin - moderne Parallelen liegen auf der Hand -, und können nicht umhin, Hadrian wegen des politischen Mutes zu loben, mit dem er diese Entscheidung rückgängig gemacht hat (18).

Mit Recht ist aber schon bisher die großartige technische Leistung der Donaubrücke an sich gewürdigt worden. Diese Donaubrücke aber bei Debrecen errichtet zu haben, ist zweifellos die bedeutendste Leistung des Apollodorus von Damaskus. Sie ist - anders als selbst das Pantheon - bis heute unerreicht geblieben.

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