EDITH SPECHT  
Ein hellenistischer Fries aus Sagalassos in Pisidien
Nachtrag

Im Zuge der Vorbereitungen zur Feier des 100. Jahrestags der Gründung des Österreichischen Archäologischen Instituts im Jahre 1998 wurden Recherchen und Grabungen in den Institutseinrichtungen durchgeführt, die längst Vergessenes und verschollen Geglaubtes zu Tage förderten. Eines dieser Fundstücke ist von besonderer wissenschaftlicher Relevanz, ermöglicht es doch eine historio-soziologisch bemer-kenswerte Ergänzung eines bedeutenden archäologischen Denkmals. Das Dokument wird hier zu Ehren des Jubilars einer qualifizierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Der Fries von Sagalassos: Die Fundumstände

Im Frühjahr 1964 besuchte der Jubilar die Ruinen der in 1700m Seehöhe gelegenen pisidischen Stadt Sagalassos. Es führten ihn rein sportliche Motive dorthin, da ihm nur ein längerer Lauf ins Gebirge als Ersatz für das gewohnte Radrenntraining dienen konnte, welches in Ermangelung adäquater Radrennstrecken in jener Gegend ausfallen mußte. En courrant sah er in der antiken Stadt auch archäologisch relevantes Steinmaterial, insbesondere einige im lokalen Sprachgebrauch als çiçekli tasları bezeichnete Architekturfragmente, Reliefs u. dgl. mehr. Beim zügigen Lauf über größere Trümmerhaufen bemerkte er, wie er später schriftlich festhielt: einige teilweise verwitterte, teilweise noch gut erhaltene Reliefs von ausgezeichneter Arbeit, die tanzende Mädchen in langen Gewändern darstellten (1). Es handelte sich dabei um Werkstücke, die am Ende des vorvorigen Jahrhunderts von Mitgliedern einer österreichischen Expedition nach Kleinasien erstmalig dokumentiert worden waren (2).

Jahre später zog es den Jubilar abermals zum Training in das ihm bereits vertraute Gelände und dabei entdeckte er im September 1971, daß mittlerweile Unbefugte eine weitere dieser Platten freigelegt hatten.

Im Jahre 1972 schließlich, geleitet von der ihm eigenen Intuition, wie sie einen erfolgreichen Archäologen auszeichnet (3), fand er nach bereits bewährtem Muster eine weitere Reliefplatte, deren hervorragender Erhaltungszustand ihn, und in der Folge auch die Fachwelt, mit Freude erfüllte. Sie zeigt ein Mädchen in gedrehter Tanzstellung mit vorgesetztem rechtem Fuß (4).

Nun waren sieben Reliefplatten mit insgesamt acht weiblichen Figuren vorhanden, die der Jubilar als die Darstellung eines Reigentanzes junger Frauen interpretierte und in das dritte Viertel des 2. vorchristlichen Jahrhunderts datierte (5). Für die fehlenden Platten wagte er keine Ergänzung. Dieser Beitrag versucht die Lücke zu schließen.

Der Fries von Sagalassos: Das soziale Umfeld

In lokalen Traditionen der heute türkischen Küstengebiete Kleinasiens hielten sich uralte epichorische Bräuche bis in die jüngste Vergangenheit. Dies konnte vor allem bei den komplexen Hochzeitsbräuchen nachgewiesen werden, im speziellen von Tanzritualen, die bei dörflichen Festen zu diesen Anlässen zu beobachten waren (6). Dabei fällt auf, daß in der sonst streng dichotom angelegten Festordnung sehr wohl Tänze von männlichen und weiblichen Akteuren gemeinsam vorgeführt werden. Es sind jeweils Personen des anderen Geschlechts, die als Anführende der Tanzformation agieren. Bei den Reigen der Männer wird dabei in der Regel auf Transvestiten aus der Bevölkerungsgruppe der Roma und Sinti zurückgegriffen oder aber auf weibliche Wesen aus anderen Kulturkreisen, wie häufig beobachtet werden konnte (7).

Über die Gepflogenheiten der Frauen bei ihren Festtänzen weiß man wenig und erfährt auch aus der gängigen Literatur nichts. Selbst der sonst unerschrockene Forscher Hamit-Bey konnte es nicht wagen, sich diesem Tabu zu nähern, denn weibliches Brauchtum läuft stets unter weit strikterer Geheimhaltung ab als das der Männer, wie aus der ethnologischen Feldforschung sattsam bekannt ist (8). Jenseits des offiziellen Schweigens weiß man aber, daß selbstverständlich männliche Teilnehmer an weiblichen Reigentänzen existieren, und dies ist auch eine uralte epichorische Tradition. Dazu verfügen wir sogar über schriftliche Quellen, wie die Chorlyrik des Alkman aus dem 6. vorchristlichen Jahrhundert (9). In seinem Parthenion kommen klar die Funktionen des männlichen Akteurs beim choros zum Ausdruck: er hat sozusagen als Choreograph und Vortänzer der jungen Mädchen entscheidend zum Erfolg der Aufführung beigetragen (10).

Die Kontinuität epichorischer Bräuche -
eine rezente Parallele zum Fries von Sagalossos ?

Abb. 1
Abb. 1

Das hier vorgestellte Archivbild (Abb.1; ÖAI-Inv.-Nr.: 677a/5) ist ein Beleg dafür, daß auch diese antike Tradition bis noch vor kurzer Zeit sehr lebendig geblieben ist.

Es zeigt zwei Epheben, einen bartlosen Vortänzer sowie einen ebenfalls jugendlichen Choreographen, beim Bemühen den zwar freundlichen und bereitwilligen, offensichtlich aber noch etwas linkischen Tänzerinnen die kunstvollen Schritte des Reigens beizubringen.

Diese gemischte Formation erlaubt auch Schlüsse auf die Natur der Tanzveranstaltung. Es ist unwahrscheinlich, daß es sich hier um einen Tanz im Rahmen von rites de passage gehandelt hat (11), obgleich bei manchen Ethnien, wie beispielsweise bei den Bemba in Zimbabwe, sogar bei den Reifezeremonien der Mädchen Männer als Schiedsrichter auftreten (12).

Unser neuzeitliches Bilddokument stammt aber von einem Fest, welches keineswegs mit einem geheimen Ritual für Initiation oder dergl. in Verbindung stand. Es hatte vielmehr pantheistischen Charakter: durch die Reigentänze sollten die epichorischen Gottheiten, vor allem die chthonischen, zu reichem Segen für die Arbeit der betroffenen Menschen gestimmt werden.

Dieses Wissen hilft uns nun, die Frage nach den Darstellungen auf den fehlenden Platten zu beantworten. Es waren junge männliche Gestalten, die zusammen mit den Mädchen einen Reigen zu Ehren einer Gottheit aufführten. Nur die Kooperation zwischen den edelsten der jungen Männer mit den schönsten der jungen Frauen konnte den Reigentanz zu jenem Grad an Perfektion führen, der eine Gottheit erfreuen und günstig stimmen mochte (13). Der Versuch einer Erklärung, warum gerade die Platten mit den Darstellungen der männlichen Tänzer nicht auffindbar sind, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen (14).

Der Jubilar sei mit diesem bescheidenen Beitrag ermuntert, die hier vorgelegten neuen Aspekte für die Rekonstruktion des Frieses von Sagalassos wohlwollend zu prüfen und für eine hoffentlich geplante Neupublikation dieses Denkmals zu benützen.

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