BURKHARDT WESENBERG  
  Das Skulpturenfeld von Rat' Abu-Nâ  
 

Wenig oberhalb des 5. Katarakts erstreckt sich, ohne direkte Verbindung mit dem Strombett, das wenig begangene Wadi Radi (sic), mit zahlreichen Knicken und Verzweigungen, in ostnordöstlicher Richtung (1). Eine wechselnd bis mäßig feste Piste verliert sich nach wenigen Kilometern am Fuße der Erosionskante einer bizarren, bis zu 30 m hoch aufragenden Sandsteinformation, die von zahlreichen Klüften zerfressen ist. Nach weiteren drei bis vier Kilometern, die zu Fuß zurückgelegt werden müssen, taucht linker Hand ein wenig charakteristischer Felsvorsprung auf, hinter dem ein nicht einmal allzu enger Hohlweg abzweigt, dessen halbverdeckte Mündung allerdings leicht übersehen wird. Folgt man dem von Felsverstürzen mehrfach unterbrochenen Hohlweg zielstrebig bis zu seinem Ende, was einen rüstigen Mann zwei bis zweieinhalb Stunden kosten wird, so öffnet sich dort in einer sanften Talmulde eine u ngewöhnlich kleine Winteroase, deren Länge kaum mehr als 700 m betragen dürfte. Ein amtlicher Ortsname scheint nicht zu existieren; ortskundige Führer, deren es freilich nur wenige gibt, nennen den Platz Rat' Abu-Nâ. Der Platz kann nicht als wirklich unbekannt gelten, da er zweifelsfrei von frühen Reisenden aufgesucht worden ist (s.u.). Gleichwohl fehlt bis heute jede Erwähnung in der archäologischen Literatur.

 
Abu Na
Abb. 1: Skulpturenfeld von Rat' Abu-Nâ. Planskizze (Nivellements ab O.k. Fundament N-I).

Das Zentrum der Oase wird von einer ungewöhnlichen Anlage eingenommen, für die exakte Parallelen bis heute nicht bekannt sind. Ihre evident hohe Bedeutung rechtfertigt den hier gegebenen kurzen Vorbericht - auch wenn bislang nur auf einen grob vermessenen Handplan und einige vorläufige Freihandfotos zurückgegriffen werden kann (2); insbesondere war es wegen der beengten örtlichen Verhältnisse bisher nicht möglich, eine anschauliche fotografische Gesamtaufnahme herzustellen (der Versuch mit einem provisorischen Ballon mißlang). Man wird die Anlage am treffendsten als Skulpturenfeld bezeichnen können. Die Erhaltung ist hervorragend. Je eine Reihe von Skulpturenpfeilern markiert die beiden Langseiten eines beachtlich exakt geosteten Gevierts (3) (Abb. 1). Im Norden sind es 13 Pfeiler von stark unterschiedlicher Gestalt und Größe; i hre Abstände sind eher unregelmäßig. Die südliche Reihe besteht aus fünf höheren Pfeilern einer einheitlichen Größenklasse, im Osten ergänzt durch eine Ketosprotome auf hohem Sockel. Eine östliche Skulpturenreihe bleibt auf den mittleren Abschnitt des Gevierts beschränkt. Sie besteht aus vier ionischen Kapitellen samt Schaftansatz, alternierend mit drei Löwenstatuen; ein fünftes ionisches Kapitell folgt in einigem Abstand nach Süden. Von einer westlichen Skulpturenreihe fehlt jede Spur. Die nördliche Skulpturenreihe ist ca. 83 m lang, die südliche nur 71 m; die Breite des Skulpturenfeldes mißt ca. 44,50 m.

Das Innere des Skulpturenfeldes ist gegenüber dem umliegenden Gelände um bis zu ca. zwei Meter vertieft. Die Böschung ist im Norden und Süden verhältnismäßig steil, im Osten deutlich flacher; im Westen, wo das vertiefte Feld über den jeweils letzten Skulpturenpfeiler um etliche Meter hinausgreift, ist die Böschung unregelmäßig. Auf der Nord- und Südseite sind die Skulpturenpfeiler in die Böschung hineingesetzt; an der zum Feldinneren gewandten Seite reicht die Skulpierung der Pfeiler - insbesondere in der Nordreihe - oft weiter hinab als an der Außenseite. Im Osten liegt die Skulpturenreihe deutlich einige Meter innerhalb des abgesenkten Feldes.

Es ist davon auszugehen, daß das Skulpturenfeld zumindest im Osten und am Ostende der Südseite geschlossen werden sollte. Ein Materiallager an der Südostecke beseitigt jeden Zweifel: hier liegen, teilweise mehrfach übereinandergestapelt, unbearbeitete Steinblöcke neben halbskulpierten Exemplaren, ferner zumindest zwei bereits abschließend bearbeitete Ornamentblöcke. Ob Teile der vorbereiteten Materialien dafür bestimmt sind, das Skulpturenfeld auch nach Westen hin abzuschließen, konnte bis jetzt nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Im Hinblick auf die auch im Westen zumindest in Spuren vorhandene Böschung wird man eine entsprechende Planung nicht für unwahrscheinlich erachten. Noch völlig ungeklärt ist, ob das Innere des Feldes eine Bebauung besaß oder erhalten sollte. Hier sollen zunächst einige Suchgräben Aufschluß geben, bevor mit einer Flächenabhebung eventuell vorhandene Befunde freigelegt werden. Immerhin könnten die in der Ostreihe aufgestellten ionischen Kapitelle als Hinweis auf eine geplante Bebauung angesehen werden.


Skulpturenpfeiler
Abb. 2: Skulpturenpfeiler der Südreihe von Südwesten (S-III bis S-V);
links im Hintergrund Löwe und Kapitell der Ostreihe.

Die Skulpturenpfeiler (in der Südreihe immer vierseitig, in der Nordreihe auch zweiseitig oder - noch? - einseitig skulpiert) sind aus bis zu sechs Etagen der unterschiedlichsten Reliefbilder aufgebaut (Abb. 2). Bekrönt werden sie - von einigen unregelmäßig gebildeten Exemplaren abgesehen - von einem rundplastisch ausgeführten Kopf, der in der Nordreihe nach Norden, in der Südreihe nach Süden - also immer nach außen - gerichtet ist (4). Die aufgetürmten skulpierten Blöcke sind durch Mörtel verbunden. Die Skulpturen bestehen aus Kalkstein unterschiedlicher Härtegrade. Sie weisen eine überraschende ikonographische wie stilistische Vielfalt auf: so stehen ägyptisierende Bilder unvermittelt neben solchen, die ganz offensichtlich griechische Vorbilder verschiedener Epochen rezipieren; selbst Rückgriffe auf die neuassyrische Reliefkunst fehlen n icht. Einige Bildwerke der Nordreihe - und zwar zunehmend gegen Osten - weichen von den klassisch geprägten Skulpturenpfeilern (wie die Südreihe sie ausschließlich zeigt) deutlich ab. Sie sind kleiner, unregelmäßig, manchmal wie Naturfelsen geformt und nähern sich stilistisch beinahe der Kunst von Naturvölkern. Ob es sich hier um die älteren oder nur um fremdgeprägte Hervorbringungen handelt, ist noch ungeklärt. Es versteht sich, daß im gegebenen Rahmen nur wenige Proben der Skulpturen vorgelegt werden können (5).

N-XIII/s (Abb. 3). Skulpiertes Felsagglomerat, das nicht wirklich als Pfeiler bezeichnet werden kann. Fünf Masken. Der Ausdruck reicht von bestialischer Wildheit (N-XIII/s2.l) bis zum satyrischen Gelächter (N-XIII/s1.r).


Skulpturenpfeiler
Abb. 3: Südseite des Skulpturenpfeilers N-XIII.

S-II/K (Abb. 4). Ägyptischer Götter- oder Königskopf mit Stirn-Uräus, in ianuskopfartiger Verdoppelung. S-II/s5 Bärtiger Kopf nach Art einer Vatergottheit. Typus klassisch. Ausführung schlicht, stark schattender Rillenstil. S-II/w6 Seethiasos nach späthellenistischem Relief, daneben kleine Satyrmaske.

S-V/K (Abb. 5). Ianuskopfartige Verdoppelung des N-IX/K einzeln verwendeten, auf eine griechische Vorlage daedalischer Zeit zurückgehenden Kopfes. Die Ianusköpfigkeit ist in der Zeit des Originals selten (6). Nachgebildet ist ein Kopf im Typus der Frau von Auxerre. Vom Original abweichend die flache Anlage des Gesichts sowie die wulstige Konturierung von Augen und Mund. Deutliche Spuren von Polychromie (Rot im Haar). S-V/s5 sowie S-V/w5 Pharaonenmasken. S-V/s4 Flußgott in barock-hellenistischem Stil. S-V/w4 Maske des Typus A.m.O. (7)

Zweiter Skulpturenpfeiler Fünfter Skulpturenpfeiler
Abb. 4: Zweiter Skulpturenpfeiler der Südreihe (S-II), Ausschnitt; von Südwesten. Abb. 5: Fünfter Skulpturenpfeiler der Südreihe (S-V), Ausschnitt; von Südwesten.
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