HOLGER TRIMPERT  
"NUNC EST BIBERE" - einige Bemerkungen zu den bisher wenig beachteten romano-britischen Flaschendeckeln.

Der Jubilar hat sich über einen nicht unwesentlichen Zeitraum seines Forscherlebens mit den Porträts der Seleukiden beschäftigt. Dabei waren neben den plastischen Werken die Münzen von großer Bedeutung. Daher möchte ich mich einer den Münzen sehr verwandten Denkmälergattung widmen, wenn diese auch aus einem völlig anderen Kulturkreis stammt.

Immer wieder konnten bei Ausgrabungen in Schottland Fragmente münzen-ähnlicher Gegenstände geborgen werden (1). Sie besitzen in der Regel eine schwarze Färbung und sind mit figürlichem und ornamentalem Relief verziert. Sie datieren zumeist in das 2.-4. Jh., wobei die ältesten Stücke noch dem 1. Jh. angehören, während die jüngsten bis in das 7./8. Jh. reichen. Erst durch den sensationellen Hortfund von Dufftown, Banffshire, 1996, mit über 500 teilweise vollständigen Exemplaren konnte die Funktion dieser Gegenstände geklärt werden. Es ist das Verdienst des Ausgräbers Mark Skipworth, der sie durch seine scharfsinnige Analyse als Flaschendeckel ansprechen konnte (2).

Flaschendeckel
Abb. 1 Flaschendeckel aus dem Hort von Dufftown. M 1:2 (nach: M. Skipworth, The hoard from Dufftown, Bunffshire, Scotland (Glasgow 1997) Abb. 4)

Seinen Ausführungen zu deren Herstellungstechnik, Verwendung und Datierung ist nichts hinzuzufügen. Nicht eingegangen ist er auf die Verzierung und deren kulturhistorischen Kontext. Dieser Gesichtspunkt soll im folgenden etwas näher beleuchtet werden.

Da die Flaschendeckel bisher noch nicht sehr bekannt sind, muß am Anfang eine ausführlichere Beschreibung stehen: Es handelt sich um kreisrunde Gegenstände (Abb. 1). Ihr Durchmesser beträgt 3 cm, die Höhe 1,1 cm. Die Seiten sind außen durch 11 flache, 0,3 cm breite Rillen gegliedert. Innen befindet sich an den Seiten eine schwach eingetiefte Spirale, die Skipworth einleuchtend zum Aufschrauben auf den Flaschenhals erklärt hat (3). Die Oberseite ist immer mit einem flachen Relief verziert. Dabei stehen sich zwei Männer antithetisch gegenüber. Sie entsprechen sich in ihrer Darstellung, nur sind sie spiegelbildlich zueinander. Ich beschreibe hier nur die rechte Figur. Der Mann steht frontal, das rechte Bein ist das Standbein, das linke das Spielbein. Der rechte Arm ist angewinkelt. In der Hand hält der Mann eine Keule, die er geschultert hat. Der linke Arm ist nach unten geneigt und leicht vom Körper abgewinkelt. Der Kopf ist leicht nach links gewandt. Der Mann trägt glattes, fast schulterlanges Haar und einen Vollbart. Bekleidet ist er nur mit einem Fell um die Hüfte. Zwischen den beiden Männern befindet sich ein Dreipass-Motiv.

Daß diese Verzierung ihre Wurzeln sowohl im keltischen, als auch im griechisch-römischen Kulturkreis hat, fällt auf den ersten Blick auf. Der Dreipass, der seinen Ursprung in La Tène A besitzt - erinnert sei hier an den sog. Waldalgesheim-Stil - ist wohl das charakteristischste Motiv der keltischen Kunst. Er wirkt über die irische Buchmalerei bis in das christliche Mittelalter, wo er u. a. im Maßwerk der gotischen Kathedralen weiterlebt. Auf der anderen Seite sieht man die Männerfiguren mit der Keule, die sich unschwer als Herakles deuten lassen.

Wie erklären sich nun diese Verzierungselemente auf den Flaschendeckeln, die ihre Verbreitung fast ausschließlich außerhalb des Römischen Reiches im keltischen Schottland haben (Abb. 2) (4) ?

Eines der wesentlichen Charakteristika der Kelten bei den griechischen und römischen Autoren ist neben ihrer Wildheit besonders ihre Trunksucht (5). Daß der Weinkonsum zumindest für die keltische Oberschicht tatsächlich von großer Bedeutung war, zeigt das häufige Vorkommen bronzener Weinkannen und Schalen in den Fürstengräbern der späten Hallstattzeit (6).

Erinnert sei hier auch an den Krater von Vix sowie die neun Trinkhörner des Keltenfürsten von Hochdorf. Dies legt den Schluß nahe, daß mit den Flaschendeckeln ebenfalls Gefäße mit alkoholischen Getränken verschlossen wurden.

Karte
Abb. 2 Verbreitungskarte der Flaschendeckel

Die Richtigkeit dieser These vorausgesetzt, schließt sich die Frage an, ob die Verzierung auf den Flaschendeckeln mit dem Inhalt der Flaschen in Verbindung steht. Auf den ersten Blick lassen sich weder Herakles noch das Dreipass-Motiv mit Alkoholkonsum in Verbindung bringen. Trotzdem erscheint mir ein solcher Zusammenhang nicht nur möglich, sondern er läßt sich auch ganz konkret belegen. Schon Brommer wies darauf hin, daß Herakles häufig beim Gelage dargestellt ist (7). Auch spielt der Alkohol in einem Heraklesabenteuer eine wichtige Rolle. Der Kentaur Polos nahm Herakles gastlich auf und öffnete, einem alten Auftrag folgend, ein Weinfaß, das ein Kentaur einst von Dionysos erhalten hatte. Vom Weingeruch angelockt kamen die anderen Kentauren, um das Faß zu rauben, wurden aber von Herakles besiegt (8). Auf einer schwarzfigurigen Halsamphora, die dieses Abenteuer zeigt, stehen Herakles und der Kentaur um das Weinfaß (Abb. 3) (9). Die Darstellung des Helden mit geschulterter Keule stimmt bezüglich der Armhaltung und des Standschemas mit der linken Figur auf den Flaschendeckeln überein.

Polosabenteuer
Abb. 3 Darstellung des Polosabenteuers auf einer Halsamphora, ehemals Rom (nach: F. Brommer, Herakles II. Die unkanonischen Taten des Helden (Darmstadt 1984) Abb. 29)

Ist die Verbindung zwischen Herakles und Alkoholika aus dem griechisch-römischen Kulturkreis heraus durchaus möglich, so läßt sich für den keltischen Kulturkreis noch eine zweite Ebene heranziehen. Herakles scheint besonders für die Inselkelten auch eine mythisch-religiöse Bedeutung gehabt zu haben. Belegen läßt sich dies durch die über 50 m große Heraklesfigur in Cerne Abbas, Dorset (Abb. 4). Interessanterweise entspricht die Darstellung des Helden mit geschulterter Keule und vom Körper weggestecktem linken Arm ebenfalls der auf den Flaschendeckeln.

Zur Erklärung des Dreipass-Motives müssen wir noch einmal zur Halsamphora mit der Darstellung des Polosabenteuers zurückkehren. Wie oben beschrieben, befindet sich zwischen Herakles und dem Kentaur das Weinfaß. Es entspricht in seiner Position dem Dreipass-Motiv auf den Flaschendeckeln.

Daß die Kelten Bildmotive des antiken Kulturkreises übernahmen und in ihre stärker durch das Ornament geprägte Kunstsprache umsetzten, ist aus der keltischen Numismatik bekannt und braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden. Daher erscheint mir das Dreipass-Motiv eine solche Umsetzung des Weinfasses in die keltische Bilderwelt zu sein.

Wie sich gezeigt hat, geht die Reliefverzierung auf den Flaschendeckeln motivisch auf Darstellungen des Polosabenteuers in der griechischen Vasenmalerei zurück. So erklärt sich auch die zweite Heraklesfigur auf dem Flaschendeckel. Da der Kentaur des griechischen Vorbildes dem keltischen Kulturkreis fremd ist, wurde er einfach durch eine andere Figur ersetzt. Daß man dabei einen zweiten Herakles hinzufügte, unterstreicht zum einen die Bedeutung dieses Helden für die Inselkelten, belegt aber andererseits auch, daß nur das griechische Bildmotiv und nicht die Sage selbst übernommen wurde.

Bleibt zum Abschluß die Frage, ob die Flaschendeckel nur für Gefäße eines bestimmten Getränkes verwendet wurden. Die mythisch-religiöse Bedeutung des Herakles für die Kelten legt dies eigentlich nahe. Akzeptiert man diese Hypothese, stößt man im Verbreitungsgebiet der Flaschendeckel unweigerlich auf das dortige Nationalgetränk, dessen heutiger Name sich vom keltisch/gälischen "uisge beatha" (Wasser des Lebens) ableitet und sich im Laufe der Zeit zur heute üblichen Sprachform "Whisky" wandelte.

Herakles

Abb. 4 Herakles von Cerne Abbas (nach: The Celts. Ausstellungskat. Venedig (Mailand 1991) S. 596)


Den endgültigen Beleg für die Interpretation der Flaschendeckel als Schließen von Whiskyflaschen liefern aber die heute noch genutzten Deckel der weit über die Grenzen Schottlands bekannten "The Glenfiddich Distillery" (Abb. 5). Sie entsprechen ihren antiken Vorgängern fast vollständig. Nur das Dreipass-Motiv ist durch ein Wappen ersetzt worden.

Flaschendeckel Glenfiddich

Abb. 5 Heutiger Flaschendeckel der Glenfiddich-Flaschen.

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