REINHARD STUPPERICH  
Mythen-Mix bei Petron

Wenn man einen Witz genau erklärt, verliert er jede Witzigkeit. Trotzdem möchte ich hier kurz und ganz humorlos verschiedene Verknüpfungen innerhalb der Mythen-Anspielungen in Petronius' Satyrika besprechen. Dabei will ich keine Theorie des Witzes entwickeln, sondern nur einige Beobachtungen sammeln. Als Mittel des Humors stellt man oft Vertauschung von Objekten bei der assoziativen Aneinanderreihung oder Verschränkung von an sich dem Hörer bekannten Themen fest, so auch, wenn in der Gastmahl-Passage von Petrons Roman der Gastgeber Trimalchio in selbstdarstellenden Reden mehrfach mit seinen Mythenkenntnissen prahlt. Dabei stimmt über die Vertauschungen hinaus auch sonst meist irgend etwas in der Geschichte nicht - und das Ganze wird bei dieser Mythen-Mix-Technik in erstaunlich wenigen Worten angedeutet. Voraussetzung für ein effektives Vertauschen von Details zwischen zwei Erzählungen kann eine mehr oder auch weniger enge assoziative Beziehung zwischen den Mythen sein. Als Ergebnis kommt es in der neuen Kombination zu deutlichen Diskrepanzen, die aber oft nur in der Vorstellung des über die richtigen Versionen informierten Hörers bzw. Lesers zum Tragen kommen und bei ihm automatisch kontrastreiche Vorstellungen entstehen lassen, die ihn zum Lachen reizen. Auch wenn es sich an einer Stelle um eine Bildbeschreibung nach reliefiertem Silbergeschirr handelt, also um veritable Ekphrasis - allerdings aus dem Munde Trimalchios -, besteht wenig Hoffnung, daß ein solches Beispiel der Mythenmischung im Bilde je gefunden wird, handelt es sich doch um eine Vermischung im Kopf des fiktiven Interpreten. Im kostbaren römischen Tafelsilber bleibt man offenbar immer auf dem Boden der ernsthaften griechischen Bildung. Auch humorvollere Mythendarstellungen wie die der Caeretaner Hydrien sind nicht vergleichbar. Allenfalls da, wo Bilder Mythenpersiflagen widerspiegeln wie beim attischen Satyrspiel oder den unteritalischen Phlyakenpossen, hat man gelegentlich eine ähnliche Konstellation. Am ehesten fühlt man sich noch an die Mythenbilder der thebanischen Kabirenbecher erinnert, die durch die Einführung wenig standesgemäßer Details und Charakterisierungen einen ähnlichen zum Lachen reizenden Kontrast bieten. Motivation und Mittel sind allerdings immer ganz andere.

Sat. 48,7-8: Die ersten Beispiele seiner Mythenkenntnisse gibt Trimalchio an passender Stelle zum Besten. Nachdem er den Gästen erst anhand einiger ausgewählter Bemerkungen seinen Reichtum demonstriert hat, muß er dann doch auch (besonders in 48,4) seine Bildung vor dem Rhetor Agamemnon und seinen Schülern unter Beweis stellen. Nachdem er einen rhetorischen Vortrag Agamemnons erbeten, aber sofort noch vor der Darstellung mit einem seiner Geistesblitze abgewürgt hat, kommt er auf einige Beispiele seiner Bildung durch die Homerlektüre zu sprechen.

An der Erwähnung des Dodekathlos des Hercules ist an sich kein Witz festzustellen, außer in dem Punkt, daß Trimalchio ausgerechnet den gelehrten Agamemnon fragt, ob er diese allergeläufigste Sage überhaupt kennt, und damit zu erkennen gibt, daß er kein Bild von den Grundlagen der damaligen Schulbildung hat, geschweige denn über solche verfügt. Dabei tut er so, als ob er sie ganz selbstverständlich hätte, indem er behauptet, daß er dieses und das folgende als Kind bei Homer gelesen habe. Ein Fehler ist erst beim zweiten angesprochenen Thema zu sehen, daß Odysseus von Polyphem der Daumen ausgedreht wird. Hier gibt es noch keinen zweiten Mythos, es wird offenbar jedes Detail durch ein beliebiges anderes, nur irgendwie assoziierbares ersetzt, das an dieser Stelle aber lächerlich wirkt. Dazu werden Daumen und Auge verwechselt, wobei der verletzenden Tätigkeit die Drehbewegung gemeinsam ist. Zudem werden Täter und Opfer vertauscht, wobei das Opfer Polyphem ja bekanntermaßen ein Gewalttäter war. Als Werkzeug wird anstelle des im Feuer gehärteten Pfahls ein Gerät verwendet, dessen Bezeichnung offenbar in der Texttradition verdorben ist, poricino, nach Büchelers Konjektur porcinus, ein ‚Schweinskopf' genanntes Instrument oder einfach ein Schweinsknochen oder Eberzahn. Lustig ist dabei die Diskrepanz zwischen der dem Hörer bekannten richtigen Version der Erzählung und der von Trimalchio gebotenen, die sinnlos ist: der Riese Polyphem könnte Odysseus leichter loswerden; ein Ausdrehen der Daumen erscheint gänzlich unsinnig.

Als drittes kommt ein angebliches Kindheitserlebnis des Trimalchio selbst, bei dem auch keine zweite Ebene in die Geschichte eingewoben ist. Die Sibylle von Cumae hängt bei Trimalchio in einer Flasche (ampulla - nach Ampelius in einem eisernen Behältnis an einer Säule) und sagt: "Ich will sterben." Die Kinder stellen ihr eine Frage, die Sibylle antwortet, alles auf Griechisch, aber es geht nicht um einen Wunsch der Kinder, sondern der Sibylle selbst, und der erscheint dann in dieser Situation unerwartet und damit albern. Der Hintergrund ist der, daß die Sibylle sich von Apollon ewiges Leben gewünscht, aber die ewige Jugend dabei vergessen hatte. So alterte sie zwar, konnte aber nicht sterben, ähnlich wie Kephalos, den sich Eos in der Sage auf ewig als Geliebten erhalten wollte und der wegen der vergessenen andauernden Jugend schließlich zur Grille zusammenschrumpfte. Die Sibylle wurde auch immer kleiner und paßte schließlich also in eine Ampulle. So ist es logisch konsequent, daß sie sich in Aufhebung ihres alten Wunsches zu sterben wünscht. Bei Petronius fehlt die Vorgeschichte, stattdessen wird sie von den Kindern mit diesem Wunsch in einem verdrehten Orakelverfahren veralbert. Die Figur in der Flasche, das Aufhängen in der Flasche und der Wunsch nach dem Sterben stehen im krassen Gegensatz zur überragenden politischen Bedeutung der Sibylle und ihres Orakels - egal ob es sich um die für Rom so wichtige Sibylle von Cumae in Italien handelt oder um die von Kyme in Kleinasien, der Heimat des Trimalchio.

Sat. 50, 5-6: In einer weiteren Darbietung seines Wissens bietet Trimalchio wenig später die Erklärung für den Begriff des Korinthischen Erzes, wohl Bronzegeschirr mit andersfarbigen Metalleinlagen in Mustern und Bildern, von dem ein Gefäß beim Gastmahl präsentiert wird. Erst werden zwei andere, ebenfalls abstruse Erklärungen für den Namen gebracht, so daß nun eigentlich als krönende dritte mit dem gehörigen Aufwand auch die richtige kommen müßte. Immerhin holt Trimalchio nun auch zu einer historischen Erklärung aus. Auch wenn es sich um ein ‚historisches' Ereignis handelt, darf man es hier ruhig in einer Kategorie mit den Mythen zusammen behandeln. Dabei werden drei parallele Geschichten ineinandergedreht als Erklärung für den von Korinth abgeleiteten Namen geboten. Von jeder wird etwas genommen, so daß im Endeffekt Korinths Name gar nicht einmal erwähnt wird - jeder Leser (fraglich ob jeder Hörer) weiß natürlich, daß an Korinth gedacht ist. Das tertium comparationis der drei Fälle ist eine Stadt, um die ein berühmter Krieg geführt wird, um sie bei der Eroberung zu zerstören, der Trojanische, der Dritte Punische und der Korinthische Krieg. Die drei Fälle sind sozusagen in eins gesetzt, so daß jeweils Ort, siegreicher ‚Erfinder' und die Erfindung selbst austauschbar sind, von jedem aber nur eines genannt wird. Troja, zuerst genannt, läßt im Folgenden sofort an Odysseus und das Trojanische Pferd denken. Trimalchio geht dann aber zu Karthago über, indem er Hannibal auftreten läßt. Der ist zwar im Endeffekt der Verlierer des Krieges und gehört auch in den falschen Zweiten anstatt in den Dritten Punischen Krieg, aber er entspricht eher dem Ruf des listenreichen Siegers vom Typ Odysseus als der tugendhafte Sieger Scipio. Dementsprechend bereitet der ‚Erfinder' Hannibal die Erfindung des korinthischen Erzes auch gleich passend und gezielt vor. Er trägt nämlich die benötigten Metalle schon vor dem Brand zusammen, womit der Brand der Stadt als Erklärung der Erfindung überflüssig wird. Weder Korinth noch der Sieger Mummius, der die Stadt zerstörte, werden nun mehr genannt, sondern nur das Ergebnis der Prozedur, das korinthische Erz. Dahinter steht eine Erklärung, die wir auch bei Plinius überliefert finden, bei dem Brand von Korinth sei verschiedenes Material zufällig so zusammengeschmolzen, daß man das Ergebnis als wünschenswertes Ziel betrachtete und nachzuahmen suchte. Schönberger denkt an eine bestimmte Legierung, aber nach dem Text ist offensichtlich an verschiedene noch unterscheidbare Metalle gedacht, die zu verschiedenen Formen ineinandergedreht und -verbacken waren. In dieser Version vom korinthischen Erz wird Mummius als der Urheber tatsächlich erwähnt. Bekannt ist vor allem aber die Entführung zahlreicher Kunstwerke aus Korinth durch Mummius, die er in Rom und andernorts in Italien in Heiligtümer stiftete. Verschiedene Anekdoten berichten von seiner Gier nach Beute-Kunstwerken bei gleichzeitigem Unverständnis für die Kunst. Akzeptiert man die Hypothese, Petronius habe in seinem Roman auf Nero gezielt, und nimmt Trimalchio als einen Ersatz-Nero in der Satire, dann wäre die Affinität zu den verbrannten Städten deutlich. Als vierte Stadt könnte das neue Troja - in den Gedanken des Lesers - an die Stelle des alten treten. Was an Neuem der ‚Erfinder' Nero bei dem Stadtbrand Roms herauszubekommen versucht haben könnte, mußte dabei nicht mehr vorkommen.

Sat. 52,1-2: Um kostbares Tafelgeschirr geht es auch gleich darauf beim nächsten Fall, diesmal um silberne Reliefbecher, von denen Trimalchio über hundert Riesenskyphoi zu haben behauptet. Für deren Ikonographie gibt er einige Beispiele. Ziel der Witze ist auch hier offensichtlich wieder, die Unwissenheit des Trimalchio zu entlarven.

Beim ersten Fall sind wieder zwei Mythen ineinandergeschoben, die Ermordung der Kassandra nach dem Sieg über Troja durch Klytaemnestra und Medeas Tötung ihrer beiden Kinder in Korinth. Nur stimmt in den Geschichten wieder alles mögliche nicht. Das berühmtere Opfer Kassandra wird selbst zur Täterin. Als Glanzlicht wird noch eine Pointe aufgesetzt, die mit dem Motiv der Künstler-Anekdoten spielt, in denen das Kunstwerk eines großen Meisters die Natur übertrifft, speziell so aussieht, als ob es lebendig sei, allerdings wird diese Aussage hier durch das ausdrücklich tote Objekt ad absurdum führt: Die toten Kinder liegen da, daß man meint, sie wären ‚echt' (vere) tot. Nach der Konjektur (vivere anstelle von vere) von Heinsius würde es dagegen - näher an der Begrifflichkeit der Anekdoten mit contradictio in adiectu - abstruserweise heißen, daß ausgerechnet die beiden toten Kinder daliegen, als ob sie lebten. Auch dieses ist offenbar als Beweis für Trimalchios ungebildeten Umgang mit diesem Bildungsgut gemeint.

Beim zweiten Beispiel, einer Griffschale (capis), einem Erbstück von seinem Herrn, das dieser wiederum - nach einer Konjektur von Heinsius - von Mummius persönlich, dem schon genannten Zerstörer Korinths, vermutlich also aus der Kriegsbeute Korinths, geerbt hatte. Daß diese Erbschaftslinie zeitlich etwas zu weit konstruiert ist, kann dabei nicht stören. Auch sonst deutet Trimalchio entsprechende weit zurückreichende und hochmögende Beziehungen und umfangreichen Reichtum an - etwa in seinem Namen C. Pompeius Maecenatianus, beim hundertjährigen Wein oder der Andeutung seiner Besitztümer, die quer durch Italien reichen. Bei diesem Silber-Reliefgefäß, das demnach auch schon von mehrhundertjährigem Alter sein muß, handelt es sich wieder um drei verschiedene Mythen, die ineinandergemixt sind. Das ganze ist in einem kurzen Satzteil angedeutet. Es geht um Mythen, in denen jemand von einem anderen in eine künstliche Figur hineingesteckt wird. Wie bei der Geschichte vom korinthischen Erz sind dabei wieder zwei der Geschichten - von der Kuh der Pasiphae und vom Trojanischen Pferd - als gute Gegenstücke eingesetzt, die dritte von Niobe paßt nicht ganz so gut. Im nachhinein wird Dädalus so zum Odysseus, bei der Niobegeschichte fehlt ein Pendant für diese beiden. Indem die Objekte der anderen beiden Mythen auf den dritten bezogen werden, ergeben sich durch die Verwechselung Kontraste, die witzig wirken. Das Pferd des Odysseus nimmt lächerlicherweise die Stelle einer Kuh ein, es dient anstelle der ‚hehren' Kriegsziele der griechischen Heroen den erotischen Absichten der Pasiphae. Niobe ist ihrerseits in ihrer tragischen Arroganz eine unerotische, hier lächerliche Pasiphae. Sie wurde in eine Steinfigur verwandelt, nicht in sie eingeschlossen, kommt auch nicht mehr aus ihr heraus, einen ‚Künstler' dieser Figur gibt es nicht. Drei Punkte werden aus jedem der drei Mythen erzählt, ein schauriger vierter, der ebenfalls alle drei miteinander verbindet, wird nicht erwähnt, muß aber diese Mythen für jeden Leser unterschwellig noch enger miteinander verbunden haben: das Ergebnis der Mythen ist jeweils die Ermordung einer großen Zahl von Kindern, im Fall der Pasiphae die jährlich 14 Athener Kinder, die der Minotauros fressen sollte; im Fall der Niobe ihre eigenen 14 Kinder, die von Apollo und Diana erschossen wurden; im Fall des Pferdes die beim Fall Trojas ermordeten Trojaner, vor allem Frauen und Kinder. Man möchte bei dieser Quintessenz dann doch gern an die alte These von der Gleichsetzung von Trimalchio und Nero glauben.

Sat. 59, 3-6: Eine neue Gelegenheit zur Mythen-Persiflage bietet während des Gastmahls eine Einlage von ‚Homeristen', Schauspielern, die homerischen Sagenstoff zur Aufführung bringen. Eigentlich soll sie nur dazu dienen, ein Kalb vor den Augen der Gäste zu zerteilen und zu servieren. Es handelt sich diesmal um eine assoziative Reihung der Mythenmotive. Das Motiv aus der nächsten Geschichte wird jeweils weiter mithilfe einiger weiterer vertauschter Objekte in die Erzählung eingehängt. Dabei haben fast alle - wie bei ‚Homeristen' auch nicht anders zu erwarten - mit Troja zu tun, auch wenn das nicht immer gesagt wird. Während an anderen Stellen durchaus griechische Worte eingeflochten werden, wird die griechische Aufführung der Homeristen hier als Störung empfunden, ein Vorwand, um die ganze Aufführung gezielt (und natürlich von vornherein geplant) platzen zu lassen. Trimalchio demonstriert seine Verachtung für diese Gattung, indem er laut Latein dagegen anrezitiert und dann die Geschichte den Gästen kurz zusammengefaßt erklärt. Diomedes und Ganymedes, die beide mit Troja, aber nichts miteinander zu tun haben, werden wegen des Gleichklangs ihrer Namen mit den Dioskuren gleichgesetzt, um damit zu Entführung ihrer Schwester Helena übergehen zu können. Die Fortführung des Motivs zeigt, daß keineswegs an die Entführung durch Theseus gedacht ist, bei der die Dioskuren eine Rolle als Retter spielten, sondern an die folgenreichere zweite Entführung durch Paris nach Troja. Paris wird allerdings nicht genannt. Er ist durch Helenas eigenen Schwager Agamemnon ersetzt, womit sie als Entführungsopfer an die Stelle seiner Tochter Iphigenie tritt. Diese wurde tatsächlich von ihrem Vater unter falschem Vorwand zur Opferung nach Aulis ‚entführt', von dort aber zu ihrer Rettung durch Diana weiter nach Tauris. Auch die Unterschiebung des Hirsches beim Opfer als Ersatz für die Entführte wird hier ebenfalls Agamemnon zugeschrieben, nicht der Göttin Diana. Der anschließende Krieg wird zwischen Trojanern und den uns unbekannten Parentinern geführt, was vielleicht eine Verschreibung für ‚Tarentiner' sein könnte, immerhin auch Griechen und in der Nähe des Handlungsortes der Cena gelegen. Die Einwohner des unbedeutenden Städtchens Parentium in Istrien waren sicher auch Griechen, aber man sieht hier keinen Grund für ihr Auftreten. Die nur als Vorwand für die Reise der Iphigenie nach Aulis von Agamemnon vorgebrachte Hochzeit von Achill und Iphigenie wird hier an falscher Stelle als Abschluß der Geschichte nach dem Sieg gebracht. Diese Lösung, das heißt genauer gesagt, die Eifersucht auf die Braut anstatt auf die Waffen des Achill, motiviert hier den Wahnsinn des Aias. Als er überschnappt, zerhackt er nicht die Schafe sondern ein Kalb, das gerade in diesem Moment (un)passend als nächster Gang aufgetragen wird. Es trägt einen Helm, womit es offenbar an die Rüstung Achills erinnert wird. Den Wahnsinnigen spielend, aber gekonnt, zerteilt und serviert es nun als Pointe Aias den Gästen der Cena.

Sat. 83,3-6: Außerhalb der Cena und der Selbstdarstellung des Trimalchio kommen derartige Mythen-Mixturen bei Petron selten vor. Bei den gelehrten Anspielungen auf den Mythos, die die Lehrer Agamemnon oder Eumolpus in ihren Reden oder Gedichten bringen, ist keine solche doppelbödige Spielerei mit den Mythen möglich, ihre übliche Verwendung im Sinne der Rhetorik wird allenfalls durch Übertreibung etwas ins Fragwürdige oder Lächerliche gezogen. Als letztes sei hier darum nur eine Mythenanspielung besprochen, die der Erzähler Enkolp selbst verwendet, als er von seinen beiden Freunden alleingelassen die Gemälde in einer Pinakothek betrachtet. Als Schüler beherrscht er die Mythenverwendung offenbar noch nicht so vollkommen wie seine rhetorischen Lehrer. Vielleicht soll auch einfach seine verquere Situation mit diesem Mittel charakterisiert werden. Dementsprechend wird zwar ähnlich, aber doch nicht ganz in der Art Trimalchios in der Cena mit drei in Parallele zueinander gesetzten Mythen gearbeitet. Diese beleuchten die eigene Situation des Erzählers, angeblich kontrastiv, in Wirklichkeit wird sie aber in dieselbe enge Parallele gesetzt. Enkolp ‚entlarvt' sich dabei selbst - besser gesagt, seine Fehlinterpretation und die Diskrepanz zwischen den Mythen entlarvt Enkolps Selbsttäuschung über seine eigene Situation und seine Egozentrik. Denn die Quintessenz in Enkolps Erzählung bzw. seiner Interpretation der Mythen ist immer schief, einige der behaupteten Ähnlichkeiten bestehen einfach nicht, es besteht vor allem keine Freiwilligkeit in der Liebe in diesen Mythen. Stattdessen besteht die Gemeinsamkeit mit Enkolps Situation außer im Vorkommen homosexueller Liebe in allen drei Mythen noch in den Entführungen und der Anwendung von Gewalt. Enkolp betrachtet nach einigen Meisterwerken, von denen er fast nur die Künstler nennt, drei mythologische Bilder, die Entführung des Ganymed durch Zeus, die Entführung des Hylas durch eine Nymphe und die Metamorphose des Narcissus. Hier wird nicht aus mehreren Mythen ein neuer zusammengestrickt, sondern jedes Motiv ist mit den Beteiligten genannt, um dann in Kontrast zum eigenen Schicksal Enkolps gesetzt zu werden. Die Folgerung Enkolps ist nun, es seien alles Beispiele von Liebesglück ohne Rivalität gewesen - anders als bei ihm selbst. Er führt das auch für jeden der drei Fälle noch ausdrücklich aus. Die (angeblich) ungewollte Pointe liegt darin, daß das jedesmal gerade nicht der Fall ist, sondern das auch hier Gewalt und Entführung vorkommen, wenn auch in jedem Fall an anderer Stelle der Konstellation. Jupiter soll angeblich niemandem Gewalt angetan haben, obwohl er Ganymed doch gerade auf dem Bild mit Gewalt entführt. Die Nymphe hätte angeblich sofort auf Hylas verzichtet, wenn sie von der Liebe des Hercules gewußt hätte, obwohl diese, wie die gesamte Bildüberlieferung auch bezeugt, sogar gegen den Widerstand des Hylas selbst Gewalt anwendet. Hier ist also ganz klar von Rivalität die Rede. Apollo hat, wenn auch unwillentlich, den Narcissus mit seinem Diskos getötet. Der eifersüchtige Zephyrus, der dem Diskos erst die tödliche Richtung gegeben haben soll, ist gar nicht erwähnt, sollte aber den Mythenkennern bekannt gewesen sein. Apollo verwandelt Narcissus dann in eine Blume, mit der er seine Lyra schmückt - das unter die ‚Umarmungen ohne Rivalen' zu zählen, stellt in Wirklichkeit also einen doppelten Kontrast zu dieser Situation her, der Enkolps Interpretation lächerlich macht. Enkolp stellt sich mit seiner Erklärung in eine Reihe mit den drei Göttern Jupiter, Hercules und Apollo. In den ersten beiden Mythen wird die Gewaltausübung im Bild dargestellt, durch Adler und Nymphe ausgeführt; im ersten und dritten sind es die ‚Werkzeuge' der Götter, Adler und Diskos, die diese Gewalt ausüben, im dritten Fall wäre es mit dem lenkenden Zephyrus auch ein Rivale, der sogar tötet; im zweiten Fall ist es die Rivalin des Hercules selbst, so wie bei Enkolp selbst Askylt, der Entführer des Giton. Diesen vergleicht Enkolp zum Schluß mit dem rasenden Lykurg - ein gänzlich unpassender Vergleich, denn in der Geschichte vom Wahnsinn des Lykurg geht es um seine grausame Bekämpfung des Dionysoskultes und die Rache des Gottes, nicht etwa um irgendwelche Liebesabenteuer oder gar Rivalitäten. Während Enkolps Situation durch diese Vergleiche unabsichtlich ausgeleuchtet wird, zeigt sich dem Leser damit zugleich, daß Enkolp selbst auch nicht sehr viel besser mit dem Bildungsgut der Mythologie umgehen kann als Trimalchio, über den er sich lustig gemacht hat - nur daß für uns Leser die satirisch kontraktierte Mythenpersiflage in einem kurzen Satz, die an die Charakterisierungen des Ruhrpott-Kumpels Tegtmeier bei Jürgen von Manger erinnert, sehr viel lustiger wirkt als dieses gelehrte Lamento. Wenn Trimalchio Nero meinte, dann wäre die Figur Enkolps aber vielleicht eine indirekte Selbstdarstellung Petrons und damit Selbstironie und humorvolle Kritik an seinem eigenen Werk.

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