LEONHARD SCHUMACHER  
Think bigger! - Interkulturelle Kontakte zwischen Südäthiopien, Syrien und Rom

"... und es verfinsterte sich die Sonne" (NT Luk. 23,45; Apg. 2,20). Für die Begutachtung des Mainzer SFB 295 hätte sich wohl kein günstigerer Termin finden lassen. Am Tage danach trat das spektakuläre Ereignis ein: "Der männliche Mond fraß", wie ein Fernsehmoderator symbolträchtig formulierte, "die weibliche Sonne auf." Der Beginn eines Neuen Zeitalters - New Age - war damit eingeleitet (1).

Wie wäre dieser Umbruch zu deuten? Als Sieg des maskulinen Elements über feministische Ansprüche, als Rückkehr zu patriarchalischen Strukturen? Diese journalistische Vorstellung entspräche allenfalls deutschem Sprachgebrauch, vielleicht auch germanischer Mentalität! Humanistische Bildung weist den Weg zum angemessenen Verständnis. Natürlich ist die Sonne - Helios / Sol - eine männliche Chiffre, der Mond - Selene / Luna - Symbol des Weiblichen, so daß in Wirklichkeit die neue Epoche durch einen zumindest temporären Triumph des Femininen über das Maskuline eingeleitet wurde. Sicher kein Sieg der Emotion über den Intellekt, wie unsere 'gender-studies' hinreichend erwiesen haben (2)! Da die 'Totalität' am 11. August 1999 in Mainz bekanntlich nicht gegeben war, wird man das himmlische Zeichen ohnehin relativieren dürfen.

Jedenfalls eröffnete sich damit auch wissenschaftspolitisch eine neue Dimension. Deren Chancen in Mainz interdisziplinär zu nutzen, lautete der zentrale Auftrag einer hochkarätigen Gutachterkommission. Verknüpft, was noch niemals angedacht wurde! Bindet zusammen, was niemand für möglich gehalten hätte! Methodenvielfalt muß schließlich zu neuen Erkenntnissen führen, um die alle Disziplinen gemeinsam ringen.

Die Weichenstellung erfolgte spät, aber noch rechtzeitig. Mit seinem bahnbrechenden Vortrag lenkte Ivo Strecker spontan den Blick auf das Phänomen der Kontaktdyaden in Südäthiopien (3). Im triadischen Referenzsystem interaktiver Wechsel-beziehungen von 'Schankilla', 'Habescha' und 'Ferenji' eröffnet besonders die Dyade 'Schankilla' <-> 'Ferenji' Möglichkeiten einer Raum und Zeit entgrenzenden Analyse. Bahnten sich frühe Kontakte zwischen nordländischen 'Ferenji' und den 'Schankilla'-Ethnien Südäthiopiens (Geleba, Hamar, Gabra, Borana, Guği) tatsächlich erst Ende des 19. Jhs. an? Kann die Altertumswissenschaft diesen Ansatz nicht korrigieren und gleichzeitig eine Brücke zum tieferen Verständnis indigenen Selbstwertgefühls schlagen? Das Potential kann einstweilen nur exemplarisch mit Hilfe der Semiotik konzeptualisiert werden.

Borana-Mann
Abb. 1: Borana-Mann nach E. Haberland (wie Anm. 3) Taf. 50, Abb. 6.

Ausdruck kulturellen Selbstwertgefühls der Hamar-Gruppe ist das kalača - ein auf die obere Stirn gesetzter phallischer Kopfschmuck (Abb. 1), dessen Bedeutung sich erst aus antiken Analogien erhellt. Wie Elke Krengel in einem Grundsatzreferat des XII. Internationalen Numismatischen Kongresses in Berlin (08. Sept. 1997) nachweisen konnte4, handelt es sich um die stilisierte Spitze eines getrockneten (?) Bullenpenis. Frühe Bildzeugnisse (Abb. 2/3) reichen bis in die Herrschaft des römischen Kaisers Elagabal (218 - 222 n. Chr.) zurück. Zwar wurde dieser Sproß einer Priesterdynastie aus dem syrischen Emesa, dem heutigen Homs, von seinen Zeitgenossen weniger als 'Europäer' denn als effeminierter 'Orientale' gewertet (Dio 79,1,1; 79,13,1 [Xiph.]; Herod. 5,5,3-5; vgl. HA Elag. 1,4-7) (5), aus Sicht der 'Schankilla' mag er aber als Herrscher des Römischen Reiches unter die 'Ferenji' subsumiert worden sein. Auf diesem Feld könnte die indigene oral history noch wichtige Erkenntnisfortschritte erzielen. Hier sollen zunächst die Rahmenbedingungen kulturellen Transfers skizziert werden.

Denar Sesterz
Abb. 2: Denar des Elagabal (BMC Emp. V 562, Nr. 211); Original des Instituts für Alte Geschichte, Univ. Mainz: XII F 9 (Vs.).
Abb. 3: Sesterz des Elagabal (BMC Emp. V 615, Nr. 454); Abb. ebd. Taf. 97, Nr. 9 (Vs.).

Die Beziehungen des Mittelmeerraumes zum antiken Äthiopien reichen bis in den Beginn des 3. Jahrtausends zurück (6), doch hilft uns dieser Befund nicht weiter, weil unsere Region im Norden des Rudolf-Sees (Lake Turkana) mehr als 1000 km südlich von Aksum liegt. Trotz erheblicher Anstrengungen gelang es auch den Römern nicht, über den heutigen Sudan zu den Quellen des Nil vorzudringen (Sen. q. n. 6,8,3-5; Mela 3,96f.) (7). Der Tana-See südlich von Gondar mit der Quelle des Blauen Nil blieb ihnen weithin unbekannt, ebenso das Gebiet des Victoria-Sees mit dem Ursprung des Weißen Nil (8). Um so erstaunlicher wirkt daher zunächst ihr Vorstoß zur Nordspitze des Rudolf-Sees, den sie praktisch nur aus östlicher Richtung erreicht haben können: entweder auf der nördlichen Route von Djibouti aus über Addis Abeba zum Oberlauf des Omo oder auf einer südlichen Trasse, die in Höhe des Äquators, südlich von Mogadischu, ihren Ausgangspunkt hatte.

Um 600 v. Chr. hatte bekanntlich ein Kapitän im Auftrag des Pharao Necho II. den afrikanischen Kontinent von Osten nach Westen umsegelt (Hdt. 4,42,2f.), doch führte erst die Entdeckung der Monsunwinde durch Eudoxos von Kyzikos (Strabo 2,3,4) seit dem Ausgang des 2. Jhs. v. Chr. zu einer Intensivierung des Indienhandels, der am 'Horn von Afrika' seinen Start- und Zielpunkt hatte (9). Was lag näher als der Versuch, von dort aus auch das afrikanische Hinterland zu erkunden? Die erstaunlichen Kenntnisse des Claudius Ptolemaeus (geogr. 1,9,1; 4,7,8f.) oder des Heliodor (2,28,1-5) dürften auf Berichte über solche Unternehmungen zurückzuführen sein. Die schematisierte Karte des Cod. Lat. V F. 32 in Neapel (Abb. 4) vermittelt einen Eindruck vom geographischen Kenntnisstand des 2. Jhs. n. Chr., der bis in die Neuzeit Geltung besaß.

Karte
Abb. 4: Karte nach Ptolemäus, Cosmographia (Stuttgart 1990) Taf. XV rechts.

Heliodors "Aithiopika. Abenteuer der schönen Charikleia" entziehen sich bislang leider eindeutiger Datierung im 3. (?) Jh. n. Chr. Immerhin stammte er wie Elagabal aus Emesa, so daß wir nun auf unsere eigentliche Fragestellung zurückkommen. Wie ist der phallische Stirnschmuck der 'Schankilla' in Verbindung mit dem Bullenpenis des Kaisers zu deuten? Aufgrund der kurzen Regierungszeit Elagabals und seines gut dokumentierten Itinerars dürfen wir einen persönlichen Aufenthalt in der Omo-Region sicher ausschließen. Als Mediatoren kommen insofern nur Teilnehmer an den antiken Rekognoszierungs-unternehmen in Betracht, wenn wir Handelsbeziehungen ausschließen.

Die Frage der Rezeption läßt sich ebenfalls eindeutig beantworten. Die naturalistische Gestaltung des Stirnschmucks auf Prägungen des Kaisers (s. o. Abb. 2/3) muß einer stilisierten Umformung vorausgegangen sein, so daß nur die 'Schankilla' als Rezipienten in Betracht kommen.

Vermutlich wurde ihnen im Auftrag Elagabals ein echter Bullenpenis überreicht mit einer Anleitung, wie diese Gabe modisch zu nutzen sei. In zutreffender Einschätzung dieser Geste, die gegenseitige Anerkennung zum Ausdruck brachte, haben die 'Schankilla' das Geschenk akzeptiert, fanden aber die naturalistische Gestaltung des Herrschaftszeichens so geschmacklos, daß sie sich zur abstrahierten Umformung entschlossen. Der Vorgang läßt sich somit im Sinne einer 'Strukturkopie' deuten. Offenbar wurde diese modifizierte Version dann von den 'Habescha' usurpiert, wie das Portrait des Kefla Yasous (Abb. 5) zu Beginn des 19. Jhs. zeigt.

Portr?
Abb. 5: Portrait des Kefla Yasous von J. Bruce nach G. Guadalupi (wie Anm. 5) 75, Abb. 75.

Aufgrund fehlender Schriftzeugnisse wird sich das Protokoll der Übergabe des Herrschaftszeichens an die 'Schankilla' im Jahre 221/22 n. Chr. nicht genauer rekonstruieren lassen. Vielleicht finden sich ergänzende Hinweise in der mythologischen Tradition. Damit wirst Du, lieber Robert, Dich kaum befassen müssen. In einer späteren Phase unserer Studien wird sich Dir aber die Aufgabe stellen, weitere Artefakte autochthoner Kulturen mit den Methoden der Klassischen Archäologie zu untersuchen. Gerne werde ich dazu meinen Beitrag aus althistorischer Sicht leisten. Interdisziplinäre Interdependenzforschung (10) ist das Gebot der Stunde: world archaeology and global history sind uns dabei Herausforderung und Verpflichtung! Difficile est saturam non scribere (Iuv. sat. 1,30).

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