HARTMUT MATTHÄUS  
Aesop, Aristophanes, der Mistkäfer und der Orient

Erster Sklave: Schnell, einen Kloß her für den Käfer, schnell !...
Noch einen Kloß, aus Eselsmist geknetet !...
Flink ! Knete nur recht viele gleich und dicke !... Noch mehr - nimm Dreck von einem Hurenbübchen;
Was Zartgeriebenes will er haben.

Zweiter Sklave: Nun, etwas kommt mir doch zugut :
Man wird Nicht sagen, daß ich hier beim Backen nasche !

Erster Sklave: Potz Blitz! Noch einen und noch einen her !
Und reib noch weitere !

Zweiter Sklave: Ihr Herrn, wenn's einer weiß, der sag es mir:
Wo kann man Nasen haben ohne Löcher ?
Kein scheußlicher Geschäft, als diesem Käfer
Sein Futter da zu kneten und zu reichen !
Ein Hund, ein Schwein, das schlingt doch, was man kackt,
Wie's ist hinab: doch dies hoffärt'ge Tier H
ält's unter seiner Würde, was zu fressen,
Knet ich's nicht tagelang, eh ich's serviere,
Zu Kugelklößen, wie's die Frauen lieben (1).

Furios, mit einem Feuerwerk von skatologischen und sexuellen Scherzen um einen Mistkäfer beginnt des Aristophanes' Komödie Der Frieden, aufgeführt während der Großen Dionysien des Jahres 421 v. Chr., wenige Tage vor dem Abschluß des Friedensvertrages zwischen Athen und Sparta, der die erste Phase des Peloponnesischen Krieges beendete (2). Im Jahr vorher waren zwei der Hauptexponenten der Kriegsparteien beider Staaten, der athenische Demagoge Kleon und der spartanische Feldherr Brasidas, während der Schlacht um Amphipolis gefallen (3). Die übermütige, von Witz sprühende Komödie gibt der Friedesehn-sucht der Athener zu dieser Zeit Ausdruck: Der attische Weinbauer Trygaios, Protagonist des Stückes, das dennoch nur den zweiten Preis errang nach den Schmeichlern des Eupolis, will in den Himmel hinauffliegen, um ein Ende des griechischen Bruderzwistes, unter dem die attische Landbevölkerung in so starkem Maße gelitten hatte, zu erreichen. Ein Κάνθαρος, ein Mistkäfer, ein Skarabäus also, soll ihn in die Lüfte emportragen. Vor dem waghalsigen Unternehmen muß das Tier gemästet werden, um zu Kräften zu kommen, ein Amt, das die Sklaven des Trygaios nur widerwillig erfüllen (33ff.).

Erster Sklave: Scheusal, wie das drauflosfrißt, wie ein Ringer
sich bückt und hin und her den Kiefer schiebt
Und Kopf und Fuß herumwirft wie die Seiler,
Wenn sie die dicken Frachtschiffe drehn !
Nein, welch ein wüster Vielfraß, welch ein Stinktier !
Von welchem Gott uns diese Plage kommt,
Das weiß ich nicht . Ich glaub, von Aphrodite
Und den Grazien sicher nicht !

Die Sklaven des Trygaios schildern die Vorgeschichte des seltsamen Unterfangens, des Trygaios vergebliche Versuche, Zeus zu erreichen und ihn um Frieden für das geplagte Hellas zu bitten (55ff.).

Zweiter Sklave: Mein Herr, der hat 'ne seltsame Marotte...
Zum Himmel schaut er tagelang, sperrt auf
Das Maul und lästert gegen Zeus hinauf
Und ruft: "Was soll das werden, Zeus ? Den Besen
Leg weg und feg uns nicht ganz Hellas aus !"...
Nun hört noch: wie zuerst die Gall in ihm
Aufstieg, da sprach er also zu sich selber:
"Könnt ich nur gradenwegs hinauf zu Zeus !"
Da zimmert er sich ein Leiterchen ,
Gar dünn und schmal, und klettert' himmelan,
Bis er ein Loch sich in den Kopf gefallen.
Nun, gestern, weiß der Henker, wo er war -
Bringt er einen Riesen-Aetnakäfer (4) heim,
Und ich, ich muß als Stallknecht seiner warten.
Er, wie ein Füllen streichelt er's und spricht:
"Mein Pegasus, mein edles Flügeltier,
Komm, fliege stracks mit mir hinauf zu Zeus !"

Die Anspielung auf den Pegasus offenbart eine der literarischen Vorlagen, die in intertextuellem Spiel bei dieser Gelegenheit zugleich persifliert werden: Bellerophontes, der sich des Pegasos bediente, in der gleichnamigen Tragödie des Euripides, des Tragödiendichters, der gern zur Zielscheibe des Spottes des konservativen Aristophanes wurde, am deutlichsten in den Thesmophoriazusen und ganz besonders im Dichterwettstreit zwischen Aischylos und Euripides in den Fröschen. Doch nun nimmt nach dem Rückblick die Handlung einen stürmischen Verlauf (79ff.):

Sklave: - Entsetzlich ! Kommt ihr Nachbarn, kommt zu Hilfe !
Mein Herr steigt auf und schwebt soeben in
Die Lüfte hoch zu Roß auf seinem Käfer !

Trygaios, im Dionysos-Theater von einer Flugmaschine emporgehoben, meistert die Luftfahrt souverän, wenngleich nicht ohne Hindernisse und Gefahren, die sich aus den recht unreinen Vorlieben seines Luftschiffes ergeben (82ff.).

Trygaios: Nur gemach, nur gemach, mein Käfer, nur sacht !
Brr, brr ! Keine Sprüng im Beginn des Ritts !...
Auch ersuch ich dich, mach mir nur keinen Gestank...
Für das Volk der Hellenen erheb ich mich hoch
In die Luft, eine Tat, die noch keiner gewagt !

(zum Sklaven) Andächtig und still ! Und muckse dich nicht
Mit garstigem Wort ! Frohlocke vielmehr !
Und Schweigen gebiete den Bürgern und heiß
Sie vermauern die Löcher und Gruben voll Mist,
Überbauen mit Ziegeln Kloaken und Ställ'
Und ihren Hintern verschließen !...

(Nach unten deutend) He, Mensch, du Mensch, was beginnst du, was kackst
Du beim Hurenquartier im Piräus dort ? (5)
Du mordest mich, mordest mich ! Scharre es zu,
Und häufle darauf 'ne Handvoll Sand,
Und pflanze Lavendel und Thymian drauf,
Und begieß es mit Narden...

Ein besonders hübsches Detail, welches den Flug zu den Göttern als Spiel der Phantasie, der Illusion auf die Ebene der realen Wahrnehmung des Theaterbesuchers bezieht und daraus einen zusätzlichen komischen Effekt gewinnt: Als Trygaios sich den Hallen des Zeus nähert, bricht er aus der Fiktion des Fluges aus und wendet sich direkt an den μηχανοποιός (174ff.) (6).

Maschinenmeister, gib wohl acht auf mich !
Schon saust ein Wind mir um den Nabel rum,
Gib acht, sonst mach ich Futter für den Käfer !

Hermes empfängt ihn, durch ein Stück Opferfleisch bestochen. Aristophanes spart im folgenden nicht mit Kritik an der Kriegsbegeisterung und mangelnden Einsicht der athenischen Bürgerschaft. Doch warum gerade der Mistkäfer als Gefährt auf dem Flug zu den Olympiern ? Aristophanes klärt den Zuschauer auch darüber in einem kleinen Intermezzo zwischen Trygaios und seinen beiden Töchtern auf (127ff.).

Mädchen: Doch sag, mit welchem Fuhrwerk reist du denn ?
Nein, Papa, welch ein Einfall ! Diesen Käfer
Zu satteln, um ins Götterreich zu reiten !

Trygaios: Es steht geschrieben im Aesop: Von allem
Geflügel kam nur dieser zu den Göttern
ἐν τοῖσιν Αἰσώπου λόγοις ἐξευρέθη μόνος
πετεινῶν εἰς θεοῦς ἀφιγμένος.

Aus welcher Quelle Aristophanes schöpft, läßt sich damit eindeutig bestimmen: aus der Fabelsammlung, die bereits im 5. Jh. v. Chr. mit dem Namen des Aisopos/Aesop verknüpft war. Der Aesop-Roman, der als populärer Erzählstoff sich eines hohen Bekanntheitsgrades erfreute, schilderte die Jugend des Aesop als Sklave in Samos, seinen Aufenthalt an den Höfen von Babylon und Ägypten und schließlich seinen Tod in Delphi in märchenhafter Ausschmückung (7). Dabei erscheint es heute fast unmöglich, einen zweifelsfreien historischen Kern der überaus phantasievollen Überlieferung herauszuarbeiten. Aesop, der die Delphier ob ihrer Habgier öffentlich geschmäht hatte, wurde nach diesen Zeugnissen mit Hilfe einer als Beweisstück untergeschobenen goldenen Phiale fälschlich und vorsätzlich wegen Tempelraubes verurteilt und hingerichtet(8). Die Tradition vom Tode in Delphi kennt neben Aristophanes (Wespen 1446ff.) bereits Herodot (2, 134); sie war daher im 5. Jh. v. Chr. offenbar Gemeingut im gebildeten Griechenland und nicht zuletzt, wie die recht häufigen Anspielungen auf Aesop bei Aristophanes bezeugen, auch dem athenischen Publikum vertraut (9). Aesopische Fabeln dürften gerade im Athen des 5. Jh. v. Chr. gern während des Symposions vorgetragen worden sein (Wespen 1259f.).

Auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte flüchtet nach dieser Überlieferung Aesop in das Heiligtum der Musen, um Asyl zu suchen. Als die Delphier ihn dennoch in ihre Gewalt zwingen, erzählt er die Fabel vom Adler und dem Mistkäfer. Sie ist in geringfügig variierenden Fassungen in alle drei unter dem Namen des Aesop in relativ späten byzantinischen Handschriften überlieferten Fabelsammlungen eingegangen (10): Ein Hase, vom Adler verfolgt, nimmt Zuflucht bei dem κάνθαρος. Der Käfer fleht den Adler an, das Gastrecht, das dem Zeus Xenios heilig ist (11), zu respektieren. Dieser jedoch, die Kleinheit und Schwäche des Käfers sehend, packt den wehrlosen Hasen und zerreißt ihn. Der Mistkäfer sinnt auf Rache, verbirgt sich im Gefieder des Adlers und läßt sich zu dessen Horst emportragen, wo er nun das Gelege des Adlers aus dem Nest rollt und auf dem Fels zerschellen läßt. Nachdem sich der Vorgang wiederholt, wendet sich der Adler an Zeus und legt ihm seine Eier in den Schoß, auf daß er sie beschützen möge. Der Skarabäus aber fliegt herbei, läßt seine Mistkugel in den Schoß des Göttervaters fallen, so daß dieser empört aufspringt: Die Eier fallen zu Boden und zerbrechen. Der Käfer berichtet nun vom Frevel des Adlers und bekommt sein Recht. - So wie der Hase vertraut also Aesop vergebens auf das Asylrecht und warnt vor dem Zorn des Zeus, des Beschützers des Rechtes, der auch die Delphier strafen würde. Als allgemeine Moral folgern die Kompilatoren der Fabelsammlungen, daß auch der Schwache Hybris und Verstoß gegen göttliche Ordnung rächen könne.

Der Skarabäus scheint in dieser Fabel demnach unmittelbar mit Zeus, speziell in dessen Eigenschaft als Zeus Xenios, verbunden, und zwar - dies ist nun in der Tat überraschend - noch enger als der Adler selbst, das heilige Tier des Gottes par excellence. Ein unscheinbarer Käfer, der sich im Mist bewegt, den Mist zu Kugeln formt, dennoch den Göttern nahesteht: μόνος πετεινῶν εἰς θεοῦς ἀφιγμένος : für einen Komödiendichter mit der Fabulierlust eines Aristophanes bot sich hier in der Tat eine einzigartige Konstellation für Spott und Witz. Neben der Fabeldichtung hat die griechische Lyrik schon an der Wende vom 7. zum 6. Jh. v. Chr. die Schöpferkraft des Skarabäus bewundert. Die älteste Erwähnung eines Mistkäfers in der griechischen Literatur findet sich bei Semonides von Amorgos, ungefähr an der Wende vom 7. zum 6. Jh.: οἷον τόδ´ ἡμῖν ἑρπετὸν παρέπτατο, τὸ ζωῖων κάκιστον ἔκτηται βίον (12)

Ist es wirklich ein Zufall, daß die archaische und klassische griechische Dichtung gerade dem Skarabäus - ob im Ernst oder in der Persiflage - eine solche Stellung einräumt ? War es die Naturbeobachtung der Griechen allein, die zum Staunen über das Naturwunder, daß Leben aus einer Mistkugel entsteht, geführt hat, oder greifen wir hier einen literarischen Topos und einen Volksglauben zugleich, der im außerhellenischen Kulturgebiet, im Osten, wurzelt (13) ?

Über die Rolle des Skarabäus, des heiligen Tieres des Sonnengottes in Ägypten, brauchen wir kaum ein Wort zu verlieren. Doch nicht nur den Ägyptern allein war der Mistkäfer heilig und konnte Schutzfunktionen im Leben wie im Jenseits ausüben (14).

Im frühen 1. Jahrtausend v. Chr. wird der Skarabäus (und der von ihm abgeleitete, abstrahierte Skarabäoid) die beherrschende Grundform der phönikischen Glyptik, die, wie fast alle Gattungen phönikischer Kunst, seit dem 9. Jh. v. Chr. starke ägyptisierende Tendenzen erkennen läßt. Der Skarabäus als Siegelform dominiert auch in der Glyptik Israels und der angrenzenden Regionen wie Edom, Moab oder Ammon (15).

Auch in der Flächenkunst - in der Glyptik selbst, auf phönikischen Trinkschalen, im Schmuckhandwerk, auf Elfenbeinschnitzereien - wird das Bild des heiligen Käfers immer wieder variiert (16). Das Bild des Skarabäus kann, wie auch gelegentlich schon in Ägypten, durch Hinzufügung eines Falken- oder Menschenkopfes sogar noch überhöht werden (17). Das Motivrepertoire gerade der phönikischen und phönikisierenden Glyptik, das Sphingen, Dämonen, Uraeen, nackte Göttinnen, kurz: Segens- und Heilsbilder vielerlei Art umschließt, läßt keinen Zweifel, daß die Themenwahl nicht aus beliebigem dekorativem Interesse erfolgte, sondern daß den Siegeln grundsätzlich als eine zumindest sekundäre Funktion Schutz- und Amulettcharakter zukam.

Skarabäen, vielfach eher ägyptisierend als echter ägyptischer Herkunft, wurden seit dem frühen ersten Jahrtausend v. Chr. (18) von der Levante nach Griechenland, später auch nach Etrurien exportiert. Sie waren Teil eines vor allem von Phönikien ausgehenden, die phönikische Handelsexpansion, die primär auf Gewinnung und Verbreitung kostbarer Rohstoffe (Silber und andere Metalle, Purpur, Weihrauch etc.) ausgerichtet war, begleitenden Austausches. Die frühesten Funde aus Lefkandi auf Euboia und bald danach jene aus Chaniale Tekke bei Knossos gehören bereits dem 9. Jh. v. Chr. an (19); in der spätgeometrischen Zeit und im folgenden 7. Jh. v. Chr. schwillt die Zahl der Importe noch einmal an (20).

In Lefkandi auf der Insel Euboia und in der von euböischen Kolonisten angelegten Nekropole von Pithekoussai begegnen Skarabäen und andere nahöstlich-ägyptische Fayenceamulette überwiegend in Gräbern von Kindern, also Personen, die eines besonderen Schutzes bedurften (21), d.h. sie zählten nicht zu den Gegenständen beliebiger Art, die ob ihres ästhetischen Anspruches oder materiellen Wertes importiert wurden, sondern setzen ein zumindest rudimentäres Wissen um ihre religiöse, apotropäische Funktion, damit auch die Zuordnung des Skarabäus zu einer Gottheit, bei den euböischen Griechen im 9. und 8. Jh. v. Chr. voraus (22).

Es kann daher wohl kaum ein Zufall sein, daß die wichtigste Siegelform der archaisch griechischen Glyptik, und dies gilt ähnlich für die etruskische Siegelschneidekunst, der Skarabäus wird (23). Eine derart quantitativ herausragende, massive und vollständige Übernahme einer Form aus rein dekorativen Gründen allein wäre in der antiken Kulturgeschichte wohl einmalig. Auch den Besitzern archaischer Siegel muß wenigstens in allgemeiner Weise die Bedeutung des Tieres bekannt gewesen sein. Seltener begegnet der Skarabäus als Motiv der archaischen Flächenkunst, obgleich die wenigen Denkmäler recht intime Kenntnis östlicher - phönikischer - Vorbilder verraten (24) Sogar der menschenköpfige Skarabäus wurde von griechischen Siegelschneidern einmal adaptiert (25). Mit den zeitlich wenig entfernten Zeugnissen der griechischen Dichtung, des Semonides wie der aesopischen Fabeln, scheint sich die Beobachtung, daß die Griechen eine wie auch immer gebrochene und vielleicht veränderte Kenntnis der Bedeutung des Skarabäus besessen haben, zu bestätigen. Bilddenkmäler und literarische Überlieferung scheinen so in dieselbe Richtung zu weisen.

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