KLAUS JUNKER  
"Dies ist die leicht veränderte Fassung ..."
oder Eine kleine Kulturgeschichte des Vorworts

Es bestehen viele Möglichkeiten, die Klassischen Archäologen in zwei Lager einzuteilen. Ein Unterscheidungskriterium etwa kann lauten: Es gibt Archäologen, die Vorworte lesen (um nicht zu sagen: studieren) und solche, die es nicht tun. Der Verfasser dieser Zeilen gehört zur ersten Gruppe. Für ihn ist die Lektüre des Vorworts gewissermaßen der erste, ganz diskrete Versuch, mit dem Autor oder der Autorin Bekanntschaft zu schließen. Das Vorwort, das sei als These den folgenden Ausführungen vorangestellt, gibt auf ganz spezifische Weise Auskunft über den Autor, über sein Verhältnis zur eigenen Arbeit. Vom erdrückenden Selbstbewußtsein bis zur Bereitschaft, sich beim Leser in aller Form für das Geschriebene zu entschuldigen, begegnet das ganze Spektrum möglicher Haltungen, die Autoren und Autorinnen überhaupt zu ihren Werken einnehmen können.

Natürlich gilt das nicht für jedes Buch und damit kommen wir auch schon zu einer zweiten Möglichkeit, die Archäologen in solche und solche zu unterscheiden. Denn die einen schreiben in das Vorwort etwas hinein und die anderen nicht. Wobei nichts hineinschreiben natürlich auch etwas aussagen kann. Es kommt dem Leser, um im Bild zu bleiben, sozusagen kein Zeichen des Grußes entgegen.

Aus der Fülle der Beobachtungen zu Form und Gehalt kann hier verständlicherweise nur ein kleiner Ausschnitt mitgeteilt werden. Wir werden uns im wesentlichen auf die Behandlung von zwei zentralen Themen beschränken. Es geht hier gewissermaßen nur darum, die Berechtigung der Auseinandersetzung mit dem Gegenstand vor Augen zu führen und beim Leser die Aufmerksamkeit zu schärfen für die Nuancen dieses stark vernachlässigten Genres der wissenschaftlichen Literatur.

Wollte man einen ins ganz Generelle zielenden historischen Abriß versuchen, so käme man wohl zu dem Ergebnis, daß sich drei Phasen unterscheiden lassen. In der Frühzeit liebte man das große Wort und das aus tiefem Herzen kommende Bekenntnis. Dann kam, mit der Hinwendung zur 'reinen Wissenschaft' die Verweigerung jeder persönlichen Aussage im Vorwort: Das Werk sollte für sich selbst und für die Menschheit, nicht aber vom Autor sprechen. In jüngerer Zeit dagegen hat die Neigung zur Konfession wieder deutlich zugenommen. Heute wird dem Leser gerne wieder anvertraut, welche Kämpfe der Autor ausgestanden oder welche glückliche Fügung ihm erlaubt hat, seine außerordentlichen Leistungen zu vollbringen.

Die erste Phase mögen Formulierungen von zwei Persönlichkeiten illustrieren, die durchaus auch dem eigenen Urteil nach als Titanen galten (über die zweite Phase gibt es naturgemäß nichts zu sagen, die dritte wird uns anschließend ausführlich beschäftigen). "In dieser Geschichte der Kunst habe ich mich bemüht, die Wahrheit zu entdecken." Schade, daß dieser Satz schon vergeben ist, möchte man spontan ausrufen. Aber wahrscheinlich hätten wir es ohnehin nicht gewagt, in unserer nächsten Monographie einen Anspruch von solch lakonischer Größe zu formulieren, denn die Zeiten eines J. J. Winckelmann sind unwiderruflich vorbei. Machtvoll liebte es auch F. Nietzsche. "Die Geburt der Tragödie" war nicht einfach ein Buch oder, wie wir heute so bescheiden sagen, das Produkt irgendwelcher 'Untersuchungen'. Nein: "Was ich damals zu fassen bekam, etwas Furchtbares und Gefährliches, ein Problem mit Hörnern, nicht notwendig gerade ein Stier, jedenfalls ein neues Problem." Natürlich spüren auch wir immer wieder diese Regung - Wissenschaft als heroischer Lebenskampf. Doch nur wenige haben den Mut, vom existenziellen Ringen mit dem 'Material' Zeugnis abzulegen - wir werden darauf zurückkommen.

"Dies ist die - leicht, tiefgreifend veränderte, gekürzte, gestreckte oder wie auch immer umgearbeitete - Fassung meiner Dissertation": Dies ist entschieden der am häufigsten in Vorworten anzutreffende Satz und er läßt den Erregungspegel nach Aufschlagen des Buchs unvermeidlich gleich um ein paar Grade sinken, vor allem dann, wenn außer nüchternen Danksagungen nichts weiter folgt. Der geübte Leser wird freilich aus den in unendlichen Variationen formulierten Äußerungen, mit denen auf Doktorvater oder -mutter Bezug genommen wird - von "Dank" kann man nicht immer sprechen -, bereits etwas vom Entstehungshintergrund der Arbeit erahnen. Von der bitter-trockenen Bemerkung "Prof. xy hat das Thema akzeptiert" bis zum ausführlichen, hymnischen Lob "meines verehrten Lehrers" - die "verehrte Lehrerin" scheint sich dagegen nicht durchzusetzen - findet sich das Verhältnis in allen Facetten charakterisiert.

Ein verbreitetes Problem unter Promovenden ist bekanntlich das Fertigwerden. Mit keinem Satz kann man leichter die Laune verderben als mit einem scheinbar freundlich hingesagten "Wann geben Sie ab?" Von diesen speziellen Qualen der Absolventen geben auch die Vorworte gelegentlich Zeugnis. "Aus einer erdrückenden Materialfülle habe ich mich erst spät gerettet und wenigstens die Darstellung eines Gegenstandes ... zu fassen versucht." Und wer sich nicht selbst zu helfen weiß, der muß von außen einen Anstoß erhalten. So dankt eine Autorin "meinem Professor ... für seine wiederholten ermahnenden Worte, auch wirklich fertig zu werden."

Bei der Habilitation stellt sich die Situation nicht grundlegend anders dar, mit dem Unterschied offenbar, daß dem äußeren Druck, wenn wir dem nächsten Gewährsmann glauben, nun mit einer gewissen Gelassenheit begegnet wird. Während der langen Zeit der Erarbeitung seiner Schrift kam sich der Autor vor wie "Martials Barbier Eutrapelus" ... dessen Arbeitsweise dahin führte, "daß seinem Kunden Lupercus schon ein neuer Bart sprießt, bevor noch der alte ganz abgenommen ist."

"This book has been some twenty years in the making. (...) It would perhaps have been as well to wait another twenty years, but art is long, while life, if not necessary short, does not always offer the same opportunity twice." Dieser Satz stammt nicht aus einer Dissertation und auch nicht aus der Feder eines gegen die Uhr schreibenden Habilitanden, nein, der Autor dieser Zeilen muß eine feste Stelle haben, andernfalls wäre er überhaupt nicht in der Lage, in solchen zeitlichen Dimensionen auch nur zu denken (und das bei einem Buch, das knapp den halben Umfang einer durchschnittlichen Dissertation erreicht). Ein anderer Autor war tatsächlich (mit langen Unterbrechungen) 40 Jahre mit seinem Buch beschäftigt. Das hat ihn gewiß zu einem Kenner der Materie gemacht, ihm darüber hinaus aber auch eine dem Promovenden verwehrte Form der Selbstkontemplation ermöglicht: "It has been interesting to compare my work on the same subject when young und when old". Die langandauernde Auseinandersetzung mit dem einen Gegenstand hat dem Autor zudem den durchaus relativen Wert der Autopsie bewußt gemacht. Manches Stück hätte er wohl eigentlich vor Abgabe des Manuskripts noch einmal in Augenschein nehmen müssen, doch sah er sich gezwungen, Ertrag und Aufwand sorgfältig gegeneinander abzuwägen: "I doubt whether the extra knowledge would have been worth the strain on the eyesight."

Damit ist bereits ein anderer Aspekt des Themas "Fertigwerden" angesprochen. Die Frage, wann man den Schlußstrich zieht, hat, anders als mancher Anfänger in diesem Gewerbe meint, keineswegs allein mit den unumstößlichen Forderungen des gewählten Gegenstands zu tun, sondern auch mit der Haltung, die man zur selbst gestellten Aufgabe einnimmt. "Zahlreiche Bücher standen nur kurzfristig zur Verfügung, so daß eine Kontrolle der Zitate und der referierten Meinungen nicht möglich war." Auch dieser Autor ist sicher kein Promovend. Wer freimütig zugibt, sich nicht die Mühe gemacht zu haben, entlegene Titel ein zweites Mal zu beschaffen, muß entweder berühmt sein oder aber genügend Zeit gehabt haben, sich seine Reputation unwiderruflich zu ruinieren. Hier ist ersteres der Fall. Obwohl nicht mit derselben auctoritas ausgestattet, hat auch ein anderer Archäologe sich von überflüssigen Skrupeln befreit. Er legt eine "vor nunmehr 15 Jahren als Hausarbeit zur Erlangung des Magistergrads ... eingereichte Arbeit" vor, die "nicht umfassend die neuere wissenschaftliche Literatur berücksichtigt". Man kann bei der Lektüre des Buches dann immerhin die elegante Umschreibung des Sachverhalts würdigen. Statt "nicht umfassend" hätte es - unschön, aber wahr - "nur ausnahmsweise" heißen sollen.

Ich komme zum zweiten Thema, und zwar zu etwas, was den Abschluß eines Vorworts zu bilden pflegt, den Dank an den Lebenspartner bzw. die -partnerin. Der ältesten Zeit lag, um noch einmal die oben angedeutete Phasentrennung vorzunehmen, solche Art der Würdigung fern. Winckelmann hat nicht allein beim Anspruch seiner Arbeit, sondern auch in der Frage der Widmung in den stolzesten Kategorien gedacht: "Diese Geschichte der Kunst weihe ich der Kunst und der Zeit" (und erst danach noch einem gelehrten Freund). Die zweite, hinsichtlich des Inhalts der Vorworte so spröde Phase hat dann den Dank uxori carissimae zur festen Formel gemacht. Und wie es auch heute noch das spröde Vorwort gibt, so ist auch die überaus teure Ehefrau noch gegenwärtig. Unsere, wie bereits gesagt, stärker zum Bekenntnis neigenden Zeiten haben uns nun aber auch Aufklärung darüber verschafft, welcher Sinn dem carissima in aller Regel beizulegen ist. Gemeint ist die Frau, "welche mir die innere Ausgeglichenheit und Ruhe für meine wissenschaftliche Arbeit geschenkt hat." Oder die Frau, "ohne deren unermüdliche und aufopferungsvolle Hilfe ..." Oder es heißt gar, "das Verständnis", das sie "meiner Arbeit und den damit verbundenen Beeinträchtigungen unseres Familienlebens entgegengebracht hat, hat das Maß dessen, was vielleicht erwartet werden kann, stets und bei weitem überstiegen." Wer wird bei der Schilderung so dramatischer Umstände nicht an Shakepeares Othello denken, der sein Verhältnis zu Desdemona beschreibt: "You loved me for the dangers I had passed / I loved you for you did pity them." Die Lebenspartnerin, so können wir aus den beliebig fortzusetzenden Zitaten schließen, zeichnet sich vor allem anderen dadurch aus, daß sie die gelehrten Leidenschaften des Mannes nicht nur erduldet, sondern ihm dabei auch noch den Rücken frei hält. "Sehr teuer", könnte man meinen, heißt also etwa so viel wie "unbezahlbar".

Nun haben gewisse Veränderungen im Rollenverständnis der Geschlechter bekanntlich dazu geführt, daß nicht nur Männer, sondern auch zahlreiche Frauen archäologische Bücher schreiben. Darin ist nun plötzlich von etwas die Rede, das uns bisher noch nicht begegnet ist: "Although my faith in myself and in this book faltered many a time, his never did." Verraten die Frauen die Emanzipation und erklären sich selbst ohne Not als Angehörige des schwachen Geschlechts? "Er hat ... an mich geglaubt, als ich es schon längst nicht mehr tat", lautet gar das jüngst verkündete Bekenntnis einer anderen Autorin. Doch während der Verfasser dieser Zeilen noch der Frage nachhing, ob es tatsächlich nur Autorinnen sind, die mit sich hadern - bzw. es zugeben können! -, zeigte sich, daß es (mindestens) einen souveränen Mann gibt, der das auch kann: "My wife has been involved virtually throughout. Her help with the formulation of the thoughts, her great improvement of the English, as well as her encouragement at times of frustration and even despair have been of inestimable value."

Zum Glück können wir unseren Beitrag zum Abschluß auf einen helleren Ton stimmen. Denn das Schreiben archäologischer Bücher muß nicht zwangsläufig eine Bewährungs- oder gar Zerreißprobe für Lebens- und Familiengemeinschaften darstellen, es kann sie auch vertiefen oder sogar erst stiften. Unter Belastung zeigen sich nicht nur die Tiefen, sondern im günstigen Fall auch die Stärken eines Charakters. So schuldet der Verfasser einer Dissertation besonderen Dank einer Frau, "die trotz dieser anstrengenden Zeit, in der sie einen oft gereizten Mann mit viel Liebe und Geduld ertrug, meine Frau geworden ist." Und ein anderer Autor hat, nachdem die eben bewältigte Aufgabe ihn ebenso gefordert hat wie sie, den Gleichklang des Erfolges auf die poetische Formel gebracht: "Il lavoro è cresciuto con noi."

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