ANDREAS HILLERT  
  Probleme des Humors in und an der klassischen Archäologie:
Die Festschrift "Professor Robert Fleischer" als Manifest der klassisch-archäologischen Revolution
 
 

Einleitung

Die Lektüre der ersten Zeilen des legendären Schreibens, das mir die Ehre einer Teilnahme an der Festschrift zu Ehren meines verehrten archäologischen Doktorvaters offerierte, genoß ich wie ein unverhofftes Weihnachtsgeschenk: wie viele latente archäologische Kleinigkeiten, die auf eine angemessene Publikationsmöglichkeit warteten, lagen brach! Eine schon immer geplante "Abhandlung über den abgespreizten Kleinfinger der linken Hand bei Erosdarstellungen auf rotfigurig-apulischen Krateren der Nachfolge des Dareios-Malers, eine Untersuchung zum Beginn des hellenistischen Naturalismus in der manirierten späteren Spätklassik" oder eine erneute kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Problemen der Zuweisung hellenistischer Herrscherbildnisse, insbesondere des Herakles der pergamenischen Prometheusgruppe in Berlin (1), beide harrten ihrer Drucklegung. Zugegebenermaßen wurde meine letztgenannte Arbeit bislang von jeder damit beglückten Fachzeitschrift abgelehnt, vermutlich weil jeweils ein Anhänger der Attalos II, III oder Mithridates VI-Gegenthese als wissenschaftlicher Gutachter fungierte. Zur Steigerung publikatorischer Breitenwirkung hatte ich mich gezwungen gesehen, bezüglich der Benennung gleichermaßen überzeugt, überzeugend und flexibel zu argumentieren, ohne mein geringes Erfolgspotential in Glücksspielen zu berücksichtigen.

All diese Probleme schienen gelöst. Herr Professor Fleischer hätte am Ruhm teilgehabt, der ihm bei jedem späteren - schon aus Gründen der Vollständigkeit und damit archäologisch-wissenschaftlichen Sorgfalt unabdingbaren - Zitat meines Aufsatzes zugeflossen wäre, bis in alle klassisch-archäologische Ewigkeit. Hätten, ja hätten die Herausgeber nicht ungeachtet aller seriösen archäologischen Arbeit, die der Jubilar und sein Institut über die Jahrzehnte hinweg geleistet haben, verlangt - angeblich in Absprache mit "guten Freunden" und dem Hinweis, schon viele Berühmtheiten hätten Entsprechendes zugesagt - etwas "Humoristisch-Archäologisches" abzuliefern. Es gelte die Methoden des Faches humorvoll an pittoresken Beispielen zu hinterfragen. Als durch psychiatrisch-psychotherapeutische Tätigkeit etwas archäologisch-außenstehend, blieb mir bei diesem Ansinnen das Lächeln im Halse stecken: wenn ihr Euch selber über Eure Methoden und die damit erzielten Ergebnisse lustig macht, was bleibt denn dann von der klassischen Archäologie noch übrig? Natürlich kann man mit stilistischen und ikonographischen Klimmzügen zu völlig abwegigen Ergebnissen - nicht nur unbeabsichtigt - kommen. Natürlich kann es komisch werden, wenn dabei die inhaltlichen Bruchstellen europäischer Bildungstradition mit geschliffenen sprachlichen Einwürfen garniert ein orchideenhaftes Eigenleben treiben...auf das ihnen der Saft ausgeht. Was unterscheidet diesen Humor von dem Ansägen des Astes, auf dem die Archäologie sitzt, einhergehend mit der Gefahr eines Absturzes in die Untiefen der Relevanz-Frage und der Dürrekatastrophe des roten Einsparstiftes? Die Sache mit der Festschrift hatte ich dann doch wieder falsch verstanden. Es werde sich nicht um eine publizierte richtige, sondern nur um eine provisorisch-vorläufige, nur unter Freunden verteilte handeln. Bis zur richtigen seriösen Festschrift, für die dann richtig seriöse Beiträge vorzulegen sind, sei der Jubilar zudem noch viel zu jung. Der abgespreizte Erotenfinger und der zumindest dreideutige Herakles müßten noch etwas warten.

Umleitung

Eine gehörige Portion an Mißtrauen war hier natürlich angebracht: der Jubilar sollte von der Festschrift möglichst spät - wenn überhaupt - erfahren. Und publiziert, d.h. ruhmfördernd wirksam werden, sollte sie auch nicht - ja wozu dann der Aufstand? Der konspirative Charakter der Angelegenheit war eindeutig, nur konspirativ für oder gegen wen? Ich sammelte über verschiedene Informanten, die aus verständlichen Gründen anonym bleiben wollen, weiter Informationen. Folgende Fragen, folgendes erschütternde Gesamtbild ergab sich:

Was, wenn eine humoristische Festschrift in weiten Teilen der Bevölkerung und sogar unter Archäologiestudenten bekannt würde? Wer läßt sich schon Jahre seines Lebens auf kleinteilige Forscherarbeit an Erotenfingern oder ähnlichem ein, wenn man auf humoristische Weise viel einfacher ein "flow"-Gefühl, sprich ein emotionales "Kick"-Erleben (also dass, warum man als Mensch überhaupt Strapazen in Kauf nimmt) erhält? Weil es objektive archäologische Wahrheiten ergibt? Oder sogar weil es institutionalisiert und karriereförderlich ist? Selbst die virulente Frage, ob man beim Trinken griechischen Weins den Alten nicht näherkommt als durch - beispielsweise - die bereits genannte Studie über Erotenfinger, ist bereits durch die hermeneutische Bibliothekstür des Mainzer archäologischen Seminars gedrungen.

Um dem Zerfall klassisch archäologischer Traditionen entgegenzuwirken, einem unmittelbar bevorstehenden und sich aus den sich gewandelten Paradigmata der zunehmend beliebigeren Postmoderne fast zwangsläufig ergebenden Schritt (Oswald Sprenglers Untergang des Abendlandes war dagegen nur ein Sturm im Wasserglas), bleibt nur, den Humor in der Archäologie zu verbieten - ein hoffnungsloses Unterfangen - oder, strategisch erfolgversprechender, sich mit ihm zu verbünden. Professor Fleischer, ein intimer Kenner dieser Situation, hatte bereits mit umfangreichen Forschungsarbeiten zu diesem Thema begonnen.

Wie aus dem Forschungsministerium zu erfahren war, wurde über DFG-Gelder finanziert vom Jubilar ein Forschungsprojekt über den "Stellenwert des Humors in deutschsprachigen klassisch-archäologischen Dissertationen und Habilitationsschriften im 20. Jahrhundert" durchgeführt. Im Sinne einer am naturwissenschaftlichen Vorgehen orientierten wissenschaftlichen Arbeit wurde darin zunächst eine operationalisierte Definition des archäologischen Humors (die etymologische Zurückführung des lateinischen "`umor - Flüssigkeit" auf die Hippokratischen vier Säfte- bzw. Temperamentenlehre machte die Einbeziehung angesehener medizinhistorischer Archäologen, namentlich Antje Krug und Ernst Künzl, unabdingbar (2)) erarbeitet und deren potentielle inhaltliche Funktion im archäologischen Text hypothetisch konzipiert:

1. Humor als intellektuelle kleine Pause

2. Humor zum Aufatmen zwischen ernüchternden Fundlücken

3. Humor zur Erleichterung von zu schweren Objektivitäts-Bürden, zur Heimkehr des Autoren-Ich, der Subjektivität in den wissenschaftlichen Text...

Die Arbeiten kamen dann unvorhergesehen zu einem plötzlichen Erliegen. Über die genauen Abläufe und Hintergründe kann derzeit nur spekuliert werden.

Wahrscheinlich ist eine disziplinarische Intervention von Seiten des philologischen Dekanats, des DAI, der DFG, der Untergrundorganisation reaktionär-klassischer-Archäologen (URA) oder des Vatikan, wobei folgende Motive angenommen werden müssen: Was wäre, wenn sich nach Publikation der Ergebnisse von Professor Fleischers Projekt herumsprechen würde, dass aus guten psychologischen Gründen weder ein normaler Mensch noch ein klassischer Archäologe anders kann, als sich im antiken Objekt selber zu finden, und alle rational-emotionslose Abstinenz nicht mehr als eine wissenschaftshistorische Legende, bestenfalls eine Ideologie ist? Dass die Trennung von hier: Wissenschaft - dort: Humor, sprich Emotionalität, nur ein wissenschafts-philosophisches Ammenmärchen ist? Überhaupt die gesamte akademische Ausbildung und das daran aufgehängte Lohn und Brot garantierende System, das über ein pedantisches Erlernen vorgegebener Betrachtungsweisen gleichzeitig die Ergebnisse präjudiziert und limitiert, ein Auslaufmodell neuzeitlich-europäischer Kulturgeschichte sein wird?

Im Müllcontainer der Universität wurde unlängst eine ansonsten leere Seite mit der Überschrift: "vorsätzlich-freiwillige humoristische Auslassungen in archäologischen Arbeiten" und mehrere Duzend Leitz-Ordner mit der Aufschrift "unfreiwillig humoristische klassisch-archäologische Auslassungen" gefunden. Die Situation ist offenbar hochgradig kompliziert. Eine Publikation der Ergebnisse scheint von oben her unterbunden worden zu sein. Die Wahrheitsfindung in der klassischen Archäologie wurde (und wird) von kulturpolitisch-reaktionären Kräften ad absurdum geführt!

Ausleitung

Vor diesem Hintergrund wird der Charakter der Festschrift Fleischer sonnenklar: ein konspiratives Blatt der noch im geistesgeschichtlich-archäologischen Untergrund versammelten emporstrebenden Kräfte! Ein Blatt unvergleichlicher Sprengkraft! Klassische Archäologen aller Länder sammelt euch, befreit euch von den Fesseln pseudorationaler akademischer Traditionen, findet Euch selber mit einem guten Glas griechischen Weines in der Hand, findet Euch vor allem wieder in dem, was Ihr forscht (oder macht Euch zumindest klar, warum IIhr gerade dieses und nicht ein anderes Thema beackert - bitte unter Vermeidung geläufiger Floskeln (3) sondern unter Ansätzen zu dem, was in Richtung "Selbsterfahrung" geht), und der wahre, gute und freiwillige Humor (4) wird unausweichlich sein! Alle geistesgeschichtliche Objektivität ist relativ, aber das macht sie nicht weniger spannend, schließlich war unser Forschungsgegenstand, die alten Griechen und Römer, ja auch subjektiv... Scheinbar unfreiwillige Komik, an der die Archäologie bislang so reich war, entpuppt sich somit als ein erster absichtsvoller Schritt (s. Anm. 1). In ein paar Jahren wird jede archäologische Dissertation und Habilitationsschrift ein Bestseller, spannend, informativ, humorvoll und authentisch ... .

Professor Fleischer sei Dank!

 
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