GABRIELE HARTER  
Der Strick-Baschlik - Zur Kulturgeschichte einer Kopfbedeckung

Eine gestrickte Kopfbedeckung, welche bis zum Hals hinunter reicht und vom Gesicht nur einen kleinen Teil freiläßt, wird heute von bestimmten Bevölkerungsgruppen bei der für sie charakteristischen Tätigkeit getragen. In der Hauptsache handelt es sich um Wintersportler (im weitesten Sinne), Demonstranten und Bankräuber. Besonders letztere verwenden als Alternative gelegentlich Nylonstrümpfe, was in unserem Zusammenhang jedoch nicht weiter von Interesse ist. Aufgabe der beschriebenen Kopfbedeckung ist es, den Kopf bzw. das Gesicht des Trägers zu schützen, sei es vor dem Blick des Gegners, d. h. in gewisser Weise apotropäisch (Unheil abwehrend), sei es - schwerpunktmäßig bei Wintersportlern - vor unangenehm niedriger Lufttemperatur.

Strick-Baschlik Abb. 1: Legere Tragweise der hier als Strick-Baschlik angesprochenen moder-nen Kopfbedeckung. Foto G. Harter.

Die in Abb. 1 wiedergegebene Tragweise zeigt deutlich, daß es sich um eine in Strickarbeit umgesetzte, vereinfachte Variante des Baschlik (türk.: Kopfbedeckung) handelt. Dieser ist gekennzeichnet durch einen in unterschiedlicher Weise gestalteten zipfelartigen Fortsatz auf der Kalotte und seitlich lang herabhängende Laschen, welche sich vor dem Untergesicht verschließen lassen. Die Form entspricht der antiken persischen Tiara, auf welche sich somit auch die im folgenden als Strick-Baschlik bezeichnete moderne Kopfbedeckung zurückführen läßt. Zum Vergleich sei auf die Darstellung der vor dem Kinn verschlossenen Tiaren des Perserkönigs Dareios und seines Wagenlenkers auf dem Alexandermosaik (Abb. 2) hingewiesen, welches auf ein Gemälde des 4. Jahrhunderts v. Chr. zurückgeht.

Alexandermosaik
Abb. 2: Ausschnitt aus dem Alexandermosaik im Nationalmuseum Neapel: König Dareios mit aufgerichtetem, sein Wagenlenker mit hängendem Mützenzipfel, die Seitenlaschen haben beide verschlossen. Nach G. Seiterle, AW 16 H. 3, 1985, 7 Abb. 11.

Wer sich mit der antiken Tiara, die auch als "phrygische Mütze" bekannt ist, näher beschäftigt, bekommt es unausweichlich mit den verschiedensten Formen von Zipfeln zu tun. Für die Tragweise der achaimenidischen Hof- und Kriegstiara hat St. Bittner anhand der Denkmäler bestimmte Vorschriften ermitteln können (1). Es war genau festgelegt, wer wann den Zipfel aufzurichten hatte und wer ihn hängen lassen mußte. Auch für die Seitenlaschen gab es Regeln. So unterschied sich ein einfacher Soldat bei Hofe offenbar dadurch von den höheren Militärs, daß er den Zipfel zwar aufrichten durfte, aber die Laschen verschließen mußte. Die Hof- und Kriegstiara wurde zur Reitertracht angezogen. Auch im Kriegsfall konnte man die Laschen verschlossen tragen. Vor dem Untergesicht hat man sie nicht einfach verknotet, sondern die eine wurde über den Mund und das Kinn auf die andere Seite hinüber gezogen, wo man sie unter dem Ohr in die andere Lasche steckte. Diese wiederum lief unter dem Kinn hindurch und wurde auf der gegenüberliegenden Wange in die erste Lasche hineingesteckt. (2) Als Material überliefert Herodot 5,49 für die persische Kampfhaube der Zeit des Xerxeszuges um 480 v. Chr. Filz. Laut G. Seiterle bestand die "Urform der phrygischen Mütze" aus dem Beutel (=Mützenzipfel) und der diesen umgebenden Hautpartie eines Stieres (3). Im Original haben sich solche Kopfbedeckungen leider nicht erhalten, doch ist in diesem Zusammenhang ein tiaraartiger Bronzehelm aus Herculaneum interessant, der ans Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. datiert wird (4). Details wie die stilisierten Falten des Kalottenfortsatzes, die als Ornament wiedergegebene Naht am Hinterkopf und der Knoten über der Stirn zeigen, daß eine Mütze aus weichem Material nachgeahmt wird (Abb. 3).

Helm
Abb. 3: Tiaraartiger Bronzehelm aus Herculaneum mit faltigem Zipfel, eine weiche Mütze nachahmend. Nach P. Dintsis, Hellenistische Helme, Archaeologica 43 (1986) Taf. 14, 4. 5.

Die tiaraartige Mütze kann bis in hethitische Zeit, ins 14./13. Jahrhundert v. Chr., zurückverfolgt werden (5). Sie galt schon in der Antike als Zeichen für die orientalische Herkunft des Trägers und behielt diese ikonographische Bedeutung auch noch das Mittelalter hindurch bei. In der französischen Revolution bekam die phrygische Mütze eine neue Bedeutung: Als Jakobinermütze wurde sie bekanntlich zur Tracht der Kämpfer für die Freiheit, was auf den römischen Brauch zurückzuführen sein soll, freigelassene Sklaven mit einer solchen Kopfbedeckung zu beglücken (6). Charakteristisch blieb bei der zum Symbol der Freiheit hochstilisierten Mütze der nach vorn geneigte rundliche Zipfel auf der Kalotte. In dieser Form ist die antike phrygische Mütze bis in moderne Zeit auch bei verschiedenen mythologischen Gestalten, wie z. B. den Schlümpfen, anzutreffen (7). Der orientalische Baschlik mit seinen lang herabhängenden seitlichen Laschen war in der Neuzeit in ganz Rußland, dem Kaukasus und auf dem Balkan üblich. Er wurde besonders beim russischen Militär als Schutz gegen die Kälte getragen und durch den Krimkrieg in der Zeit von 1854 bis 1870 in die europäische Mode übernommen (8). Offenbar haben wir es also mit zwei Überlieferungssträngen zu tun.

Schwer zu beantworten ist die Frage, wann und wo erstmals die Umsetzung des Baschliks in die Stricktechnik (9) erfolgte. Wann und wo wurde überhaupt erstmals gestrickt? Die frühesten Belege von Gestricktem gehören, soweit mir bekannt ist, in nachchristliche Zeit. Neben gut datierten Resten aus Dura-Europos (1. Hälfte 3. Jahrhundert n. Chr., terminus ante quem um 256 n. Chr.) (10) werden Funde aus Ägypten, die in die ersten Jahrhunderte n. Chr. gehören, als früheste erhaltene Beispiele angeführt. Das Problem ist jedoch, daß man lange nicht unterschieden hat zwischen dem eigentlichen Stricken mit mehreren Nadeln (11) und der mit einer Nadel ausgeführten Technik des "knotless netting" oder "single needle knitting" (12), als welche sich u. a. zahlreiche koptische Produkte erwiesen haben. Bei der Suche nach den Anfängen der Strickkunst darf man auch nicht zu sehr auf den Orient fixiert sein, sondern muß das ganze r&ou;ml;mische Reich im Auge behalten. So wurden 1906 bei Nîmes zwei Elfenbeinstricknadeln gefunden, die ins 2. Jahrhundert n. Chr. datierbar sein sollen (13). Möglicherweise war also schon bei den Galliern bekannt, was man mit solchen Stöckchen und einem langen Faden anfangen kann. Wie dem auch sei - daß man im 4. Jahrhundert n. Chr. bereits in der Lage war, zipfelmützenartige Objekte mit farbigem Einstrickmuster herzustellen, zeigt ein als Geldbeutel angesprochener Gegenstand dieser Zeitstellung aus Ägypten (Abb. 4, zur besseren Vergleichbarkeit auf den Kopf gestellt) (14). Unklar ist vorerst noch, ob bei der Urform des Strick-Baschlik lange Fortsätze angestrickt wurden, die man vor dem Kinn verschließen konnte, oder ob mit der Umsetzung in eine andere Technik gleich die Vereinfachung mit der ausgesparten Gesichtspartie einer bis zum Hals durchgestrickten Kopfbedeckung einherging.

Strickbeutel Abb. 4: Gestrickter(?) antiker Geldbeutel aus Ägypten. Nach J. Lammèr, Das große Ravensburger Werkkunst-buch (1975) Abb. S. 90 (Foto: Textil-museum Neumünster).

Abschließend soll darauf eingegangen werden, inwieweit bestimmte der phrygischen Mütze innewohnende Aspekte auch für die Träger des modernen Strick-Baschlik noch eine Bedeutung haben könnten. Bei der ursprünglich aus dem Stierbeutel gefertigten Kopfbedeckung spielte auf jeden Fall der in der Antike verbreitete Glaube eine wichtige Rolle, daß man sich die Kraft eines Tieres aneignen könne, indem man buchstäblich in dessen Haut schlüpfte (15). Die phrygische Mütze stellt in gewisser Weise ein Gegenstück zu den Exuvien dar, welche aus der Kopfhaut von Löwen, Elefanten etc. bestanden, während man für die phrygische Mütze eben andere edle Teile verwendet hat. Apotropäische Wirkung wurde der auf diese Weise hergestellten Kopfbedeckung gewiß auch zugeschrieben (16), und dies ist ein Aspekt, welcher für den modernen Strick-Baschlik noch eine gewisse Gültigkeit hat, wie wir eingangs feststellten . Der Aspekt des aus der Stierhaut Kraft Schöpfens dagegen dürfte kaum noch eine Rolle spielen bei aus Schafswolle oder Synthetik gestrickten Mützen. Dies wird auch daran deutlich, daß bei der von Wintersportlern, Demonstranten und Bankräubern getragenen Kopfbedeckung, um die es hier geht, der Zipfel oft gänzlich fehlt. Wichtiger ist der Aspekt, daß es sich bei dem Strick-Baschlik gleichsam um eine Tiara mit permanent geschlossenen Seitenlaschen handelt. Diese Tragweise der achaimenidischen Hof- und Kriegstiara war, wie wir gesehen haben, im Kriegsfall eine Möglichkeit und bei Hofe für den einfachen Soldaten vorgeschrieben. Der Strick-Baschlik hat somit etwas manifestiert Militantes, Kämpferisches - ein Aspekt, der für Bankräuber, vermummte Demonstranten und - dem Verhalten nach zu urteilen - auch so manchen Wintersportler noch heute Bedeutung hat.

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