MIKULÁŠ FAZOLKA  
Münzfund im Doskuristan

Zusammenfassung: 1980 wurden bei einem Fund in Afghanistan einige Münzen entdeckt, die Eukratides (165-145) und seine Söhne zeigen. Bislang war nur der Sohn Demetrius bekannt. Dadurch ist es möglich, die Geschichte Baktriens mit der Gandaras in dieser Epoche zu verbinden und fortzuschreiben. Durch die kriegerischen Ereignisse sind mit dem gesamten Fund auch die Münzen vernichtet worden, von denen nur noch Fotographien existieren.


Im Sommer 1960 lernte ich den Jubilar als Studenten an der ehrwürdigen Universität Wien kennen. Die Hochschulverwaltung meines Heimatlandes hatte mir überraschend die Erlaubnis erteilt, zwei Semester im "kapitalistischen" Ausland zu studieren. Seit damals besteht unser gemeinsamer Traum, in Gandara (1) und den übrigen Randländern griechisch-makedonischer Herrschaft einmal forschen zu dürfen. Diese kleine Arbeit soll darüber hinwegtrösten, dass es wegen der politischen Verhältnisse auf unabsehbare Zeit wohl unmöglich ist, diesen Traum zu verwirklichen.

Fast jedes westeuropäische Land hat einen oder mehrere Lehrstühle für provinzial-römische Archäologie, jedoch fehlen aus den gleichen geographischen Gründen solche Einrichtungen in dem Teil Europas, der früher dem Ostblock zugerechnet wurde, mit Ausnahme Ungarns. Da aber die Anrainerländer des Schwarzen Meeres, vor allem aber die südlich gelegenen Länder der GUS-Staaten, Gebiete einschließen, die einst von Griechen besiedelt waren, gab es eine Tradition der Archäologie, die ich provinzial-griechisch nennen möchte, wenngleich diese Bezeichnung aus evidenten Gründen nur cum benigna interpretatione ein Analogon sein kann. So aber waren wir Archäologen aus Osteuropa, die wir selten in den Westen reisen konnten, in der Lage, an Ausgrabungen teilzunehmen oder wenigstens der Forschungsergebnisse teilhaftig zu werden, die von den sowjetischen Kollegen erbracht wurden. Die Einrichtung der Eurasienabteilung des DAI hilft übrigens, daran anzuknüpfen.

Habent sua fata imagines! So müsste der Leitspruch zu den Umständen lauten, die es mir trotz allem ermöglichen, etwas Neues zu der Erforschung der Gebiete beizutragen, die durch den massiven Einsatz politischer Interessen von außen seit über zwei Jahrzehnten der Feldforschung entzogen sind. Seit meiner Schulzeit kannte ich Herrn Ota Smetaçek, der neben seinem Studium des Journalismus an der Karlsuniversität in Prag noch ein langjähriges Praktikum an den Barandov-Filmstudios absolvierte. Dies setzte ihn in die Lage, nach dem erzwungenen Abbruch seines Studiums wegen "politischer Unzuverlässigkeit" den Beruf des Fotoreporters zu ergreifen. Wohl als Bewährung wurde er im Frühjahr 1980 von der damaligen Presseagentur der CSSR nach Afghanistan geschickt, um über die "brüderliche Waffenhilfe der Sowjetunion" zu berichten.

Dort wurde er dem 23. Sturmregiment aus Tula zugeordnet, dessen Kulturoffizier in Moskau u.a. bei Prof. Pitschikijan Archäologie studiert hatte und an Ausgrabungen in Pantakopion, auf der Krim und in Baktrien teilgenommen hatte (2). Die Einheit wurde im Mai 1980 eingesetzt, die Hochebene zu befrieden, die von den Einwohnern - dem Paschtunenstamm der Ghilzai angehörend - Doskuristan genannt wird. Dieses Tal, eine rundum von Dreitausendern eingeschlossene Hochebene von ca. 35 km Durchmesser wird nach Süden durch die Schlucht der Enge entwässert. Durch die bisweilen klammartige Schlucht verläuft zugleich der einzige Straßenzugang. Das je nach Jahreszeit stärker oder schwächer fließende Gewässer mündet in den Heri-Rud, der bis Herat nach Westen, danach nach Turkmenistan in nördlicher Richtung fließt. Die schützenden Berge und die reichlichen Gewässer ermöglichen seit alters her eine relativ üppige Landwirtschaft in dieser durchschnittlich 1400 m hoch gelegenen Ebene (3).

In der geographischen Mitte der Hochebene erhebt sich ein Hügel, auf dem Ruinen festgestellt wurden. Dabei handelte es sich jedoch nicht um Überbleibsel der ansonsten anzutreffenden Lehmbauten der letzten Jahrhunderte, sondern der Kulturoffizier Dr. Sergej Konscharow stellte fest, dass die Bauten aus Hausteinen errichtet waren, deren Bearbeitung durch griechische oder stark griechisch beeinflusste Steinmetze erfolgt sein musste. Eine große Zisterne war vorhanden, die einst eingedeckt war, sie war 5,45 m breit, 17,53 m lang und 9,99 m tief (4). Es gelang dem Kulturoffizier, Stichgrabungen vorzunehmen, wobei er wegen der Friedlichkeit der äußeren Situation vom Kommandanten des Regimentes mit Soldaten und Material unterstützt wurde. Es wurden Scherben und Münzen gefunden, die nach Erkenntnis des Grabungsleiters aus der Zeit des 2. vorchristlichen Jahrhunderts stammten. Sie sollen baktrisch beeinflusst gewesen sein.

Der Kontakt zur afghanischen Bevölkerung war noch nicht durch die späteren beiderseitigen Erfahrungen getrübt. Der örtliche Dorfälteste hatte eine Zeitlang in Tiflis gelebt, er schien der damaligen Regierung geneigt, also damit auch den sowjetischen Truppen aufgeschlossen gegenüber. Die Befriedungsaktion verlief - wie ausgeführt - anfangs sehr ruhig und ohne irgendwelche Kämpfe. Allerdings wurde im August 1980 gemeldet, dass es im Flusstal des Heri-Rud zu teilweise schon erbitterten Kämpfen gekommen sei; daher sollte das gesamte Regiment abgezogen und in eine Stellung bei Herat verlegt werden. Als dies bekannt wurde, trat der Dorfälteste an den Kulturoffizier heran und übergab ihm ein Gefäß, in dem sich eine große Anzahl von Münzen befand. Er bat ihn, diese Münzen gut für das "afghanische Volk" aufzubewahren, da er nämlich das baldige Übergreifen des Krieges auch auf seine Heimat fürchtete. Die Münzfunde würden aus dem Hügel, in dem auch die Soldaten gegraben hätten, stammen. Es sei ein Fund gewesen, der ungefähr 1936 gemacht worden sei.

Mein Freund Ota Smetaçek fotografierte die Münzen ebenso ausgiebig, wie er auch schon zuvor die Ausgrabungen dokumentiert hatte. Da er einen der S-W Filme doppelt hatte, schickte er ihn mir mit einem längeren Brief, in dem er das eben Ausgeführte schilderte. Den Brief übergab er der sowjetischen Feldpost, ich habe ihn nicht erhalten.

Der Münzfund wurde mit den übrigen Fundstücken der Notgrabung und den unentwickelten Filmen meines Freundes in einen geräumigen Schützenpanzer BT 130 geladen und sollte mit dem Tross des Regimentes abtransportiert werden. Offensichtlich war aber die Absicht der Truppenverlegung allseits bekannt geworden, jedenfalls wurde fast das gesamte Regiment in der Schlucht der Enge Opfer eines Überfalles. Mit der klassischen Methode des künstlichen Steinschlages wurde vor und hinter dem abziehenden Truppenteil die Straße blockiert, dann von der gegenüberliegenden Seite aus und von oben zerniert und aufgerieben. Das militärische Desaster fand Eingang in die Militärliteratur der Sowjetunion (5). Bei diesem Unternehmen fiel der Kulturoffizier, der Schützenpanzer brannte nach einem Volltreffer aus, sein Wrack stürzte in die Tiefe der Klamm. Als die Kämpfe begannen, befand sich mein Freund noch bei dem Dorfältesten, der ihn mit sanfter Gewalt daran hinderte, sich der Schlucht zu nähern, er stand offenbar als Gast unter dem Schutz des Dorfes (6).

Später, wieder in Prag, berichtete er mir das zuvor Dargestellte und bedauerte dabei ebenso wie ich, dass nichts erhalten geblieben sei, trotz der Mühe der Dokumentation und der Fotoaufnahmen durch ihn. Mittlerweile ist Ota Smetaçek gestorben, aber seine Geschichte ließ mich nicht los. Als ich im Sommer 1999 an einem Kongress über Baktrien in Leningrad teilnahm, erzählte ich dies alles einem befreundeten russischen Kollegen, der etwas lächelte und mich mit einem weiteren Kollegen bekannt machte, von dem er behauptete, er habe immer eine gute Beziehung zum "Dienst" gehabt. Auch diesem Kollegen erzählte ich den Ablauf, ohne dass mein Gegenüber sich zu mehr als einem allgemeinen Bedauern bequemte.

Vier Wochen später erhielt ich ohne Angabe eines Absenders einen in Prag abgestempelten Briefumschlag, der die Fotokopie des Briefes meines Freundes Ota Smetaçek ebenso enthielt wie einige Aufnahmen von dem Film, den er mir unentwickelt zuschicken wollte. Alle Dokumente machen den Eindruck, als seien sie nach einer Mikroverfilmung wieder vergrößert. Von den Aufnahmen sind nur die hier gezeigten acht Münzbilder publizierbar, da die schlechte Bildqualität die anderen Abbildungen allenfalls erahnbar macht.

Ota Smetaçek hatte mir geschrieben, es seien auf den Münzen "eine ganze Dynastie zu sehen". Sein erster, laienhafter Eindruck ist richtig. Unstreitig sehen wir auf der Abb. 1 Eukratides von Baktrien, der ein Vetter des letztlich glücklos agierenden Seleukiden Antiochos Epiphanes war. Auf dessen Anordnung stürzte er 167/166 den in Baktrien herrschenden Demetrios I., den Sohn des Euthydemos (7). Dieser hatte nach weiträumigen Eroberungszügen nach Indien eine relativ stabile Herrschaft in Baktrien etabliert, wobei es ihm gelang, die unterschiedlichen Völker seines Reiches (Griechen, Iranier und Inder) zu einem friedlichen Zusammenleben zu bewegen. Er wurde dabei von seinen Söhnen Euthydemos (III.), Demetrios (II.), Pantaleon und Agathokles unterstützt (8). Wie sein Vorgänger hatte sein Reich als Zentrum die heute Ai Khanum genannte Siedlung am Zusammenfluß von Oxos und Kokcha (9), wo man bei Grabungen auch zahlreiche Münzen des Usurpators gefunden hat.

Die Namensnennung seines Sohnes war für Eukratides schicksalshaft, gab er ihm doch den Namen Demetrios. Dies muss allerdings schon lange vor seinem Umsturzunternehmen erfolgt sein, so dass davon auszugehen ist, dass sich sein Sohn Demetrios an den kriegerischen Unternehmungen seines Vaters beteiligte, denn 21 Jahre später, also 145, ermordete sein Sohn Demetrios - wahrscheinlich zusammen mit dem weiteren Sohn namens Lamprokles - den Vater (10).

Nun liegt Baktrien am Rande des Bereiches, der seit Jahrtausenden Durchzugsgebiet aller Völkerscharen zwischen Asien und dessen westlichem Anhängsel, Europa, ist. Aber nicht nur gewaltsame Unternehmungen vollzogen sich hier, auch die Seidenstraße verläuft in ihren zahlreichen Einzelrouten hier (11). Welche der vielen Völkerscharen nun gerade durchzog, ist weder geschichtlich bekannt, noch bisher archäologisch feststellbar, jedenfalls steht aufgrund der Grabungen in Ai Khanum fest, dass um 145 auch die griechische Herrscherschicht mitsamt dem griechischen Bevölkerungsteil aus dem baktrischen Reichsteil vertrieben wurde (12).

Der frisch an die Macht gekommene Demetrios verlegte seinen Herrschersitz nach Süden in das unzugänglichere Bergland Afghanistans. Dies bezeugt die Münze auf Abb. 2., die den Sohn des Eukratides in geradezu identischer Darstellung mit seinem Vater zeigt. Derartige Münzen sind jedoch in Ai Khanum und in anderen Stellen Baktriens nicht gefunden worden (13). Es muss sich also um eine Münzprägung handeln, die im verbliebenen Teil des Herrschaftsgebietes geschah. Um die Kontinuität der Herrschaft und die Berechtigung zu ihr darzulegen, tritt uns Demetrios in fast der gleichen Darstellung entgegen, ein auch schon vom Jubilar für die Seleukiden treffend beobachteter Griff in die frühe Herrscherpropaganda. Zugleich aber liegt eine fast übereinstimmende Münze vor, die einen Lamprokles zeigt, der wiederum kaum von Eukratides zu unterscheiden ist (Abb. 3.). Dies legt die schon oben angedeutete Vermutung nahe, bei Demetrios und Lamprokles handelt es sich um Brüder, die dann eben gemeinsam die Herrschaft durch die Beseitigung ihres Vaters erlangten. Die Rückseite zeigt unverändert das göttliche Brüderpaar der Dioskuren, entsprechend der veränderten militärischen Situation in Asien zu Pferd.

Die letzte Münze (Abb. 4.) scheint mit Sicherheit die zeitlich jüngste zu sein, zeigt sie doch Veränderungen grundlegender Art: Der nun offensichtlich als Alleinherrscher agierende Lamprokles leitet seine Legitimität als Herrscher nicht mehr von seinem Vater her, sondern stützt sich nunmehr auf Alexander, von dem er wenigstens den Helm übernimmt, nicht jedoch die charakteristische Locke. Entscheidend aber ist die Änderung der Rückseite: Das brüderliche Paar ist verschwunden, geblieben ist ein einsamer Reiter, der wahrscheinlich vom gleichen Stempelschneider stammt. Zu schließen ist daraus, dass die Art der gewaltsamen Erlangung der Herrschaft in der Dynastie der Eukratiden beibehalten wurde, Lamprokles hat die Herrschaft dadurch erlangt, dass er seinen Bruder überlebte. Wäre dies nicht auf sein Handeln zurückzuführen, also schicksalhaft bedingt gewesen, so hätte doch nichts näher gelegen, als die erneute Kontinuität von Herrschaft vorzugaukeln. Die Veränderung in der Darstellung des Herrschers selbst, vor allem aber die Eliminierung des brüderlichen Mitstreiters zu Pferd zeigt deutlich, dass Lamprokles auf eine durchgängige Herrschaftslegitimation keinen Wert legt, wahrscheinlich auch keinen Wert legen darf, da in dem verbliebenen Restreich die Art seiner Usurpation der Alleinherrschaft zu bekannt war.

Der Glaube, man diene seiner Familie und könne Herrschaft durch sie perpetuieren, erweist sich auch hier wieder einmal als trügerisch; die Macht und die Gier nach ihr zerreißt auch Familienbande, zu denen Karl Kraus schon das Notwendige bemerkte.

Allerdings konnte in der ihm verbleibenden Zeit als Herrscher dieses Restgebildes der Name der wohl bedeutendsten Ansiedlung nicht mehr geändert werden, der noch heute benutzte Name erinnert an die Söhne der Leda und des Zeus. Nach den uns vorliegenden Erkenntnissen erlosch jegliche griechisch-makedonische Herrschaft in Gandara um 100 (14), es ist nicht anzunehmen, dass in Doskuristan diese länger währte.

Das Schicksal der Münzen, der auf ihnen dargestellten Herrscher, ist auf uns fast schemenhaft überkommen, es existiert - wenigstens greifbar - nichts weiter als einige schlechte Abbilder der Bilder, man wird an das Höhlengleichnis erinnert. Gleichwohl besteht ein objektiv nachvollziehbares Interesse an der Erforschung der Region, die wir Gandara nennen. Allein das Leiden der Bewohner dieses Gebietes heute, seit drei Jahrzehnten Opfer zuerst politisch, nun religiös bemäntelter Herrschaftsansprüche muss erst beendet sein, ehe die Forschung wieder beginnen kann - es gilt eben nicht nur, die Vergangenheit zu erkennen, auch die Gegenwart ist zu bewältigen.

Mikuláš Fazolka


Abb. 1: Eukratides von Baktrien Münzen
Abb. 2: Demetrios, Sohn des Eukratides
Abb. 3: Lamprokles
Abb. 4: Lamprokles
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