MARION ACHENBACH  
  Die faden Fladen der augusteischen Saecularfeier und ihre Auswirkung auf die Archäologische Terminologie Zum Problem der Wahrheitsfindung in der gegenwärtigen Porträtforschung*  
 

Seit geraumer Zeit schlägt sich die poststrukturalistische Archäologie mit dem hermeneutischen Dilemma herum, daß die Interpretation der Vergangenheit nur aus der Perspektive der Gegenwart vorgenommen werden kann: Die Historie - auch die ihrer materiellen Hinterlassenschaften - ist demnach nichts anderes als ein Konstrukt, dessen Übereinstimmungsgrad mit der Wirklichkeit sich letztlich nicht beurteilen läßt. Vor diesem erkenntnistheoretischen Hintergrund betrachtet man heute form- und stilgeschichtliche Einteilungen nicht mehr als naturgegeben: Die einstmals weitgehend verbindliche Chronologie antiken Kunstschaffens ist zum Gegenstand fruchtloser Diskussionen verkommen. Darüberhinaus hat der wissenschaftliche Relativismus und Subjektivismus zur fortwährenden Suche nach dem "konstruktiven Element" geführt, das angeblich die Gestaltung der einzelnen Denkmäler geprägt haben soll: So geben z.B. Porträts nicht einfach die - zugebenermaßen oftmals harte - Realität wieder; sie symbolisieren vielmehr äußere Gegebenheiten wie gesellschaftliche Konventionen und Ideale. Ganz in diesem Sinne bezeichnet Paul Zanker das Bildnis des ersten Princeps als "eine durch und durch reflektierte Schöpfung", als "ein Kunstgesicht", das "mit dessen wirklichem Aussehen wahrscheinlich nur noch wenig zu tun hatte" (1). Derartige semantische Klimmzüge führen m.E. jedoch nur in die Irre: Die elementare Frage nach dem real existierenden Gesicht des Augustus bleibt weiterhin unbeantwortet; durch die mangelnde Bereitschaft vieler Forscher, die ausgetretenen Pfade des wissenschaftlichen Konventionalismus zu verlassen, wird das Problem lediglich verschoben.

Die dringend notwendige Innovation in der Klassischen Archäologie kann nur über die Methodologie erfolgen. Völlig unverständlich ist von daher die bisherige Nichtbeachtung des Bereichs der "oral history" in unserer Disziplin: Die in Rom eingebürgerten Olympier könnten in besonderem Maße zur geschichtlichen Wahrheitsfindung beitragen: Ihre Unsterblichkeit macht sie zu verfügbaren Zeitzeugen; ihre Allwissenheit läßt kaum einen Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit aufkommen.

In der Tat ermöglicht die Befragung zahlreicher Mitglieder der göttlichen Großfamilie, Licht in das Dunkel des kaiserlichen Darstellungsmodus bringen: Zu meinem großen Erstaunen erweisen sich hier die Vorgänge anläßlich der Saecularfeier des Jahres 17 v.Chr. als bedeutungsvoll; ihre lückenlose Dokumentation wird deshalb in diesem Artikel angestrebt:

In der Nacht vom 2. auf den 3. Juni liegen in den himmlischen Gefilden über der Hauptstadt die römischen Staatsgötter zu Tische. Einige von ihnen warten noch auf das Souper, das ihnen anläßlich des Zeitenwechsels kredenzt werden soll. Währenddessen dringt die Stimme des Chefrepräsentanten des populus romanus IMPERATOR CAESAR DIVI FILIUS AUGUSTUS vom Tiber herauf: "Eileithyien (gemeint sind die drei Geburtsgöttinnen), wie es für euch in jenen Büchern geschrieben ist, dieserhalb und zum Besten des römischen Volkes, soll euch ein Opfer gebracht werden mit (je) (2) 9 Fladen, 9 Kuchen, 9 Klößen, zu euch bitte und bete ich, daß ihr Reich und Macht des römischen Volkes, der Quiriten, im Krieg und daheim mehret..." (3) Die Angeredeten scheinen jedoch nicht sehr intentioniert, auf derartige Ansinnen einzugehen. "Bäähh, schon wieder diese faden Fladen, dieser vertrocknete Kuchen, diese klumpigen Klöße", mault Eileithyia Nr.1 "Wenigstens zum Saecularwechsel hätte man ja wohl eine zeitgemäßere Gastronomie erwarten können." Daß wir als Gegenleistung für diesen ungenießbaren Ökofraß allzeit den Latinernamen schützen und dem römischen Volk Unversehrtheit, dauernden Sieg und Kraft verleihen, kann er knicken", pflichtet ihr Nr. 2 bei. "Mit dem Motto back to the roots hat der Mann schließlich den Wahlkampf gewonnen", meint Jupiter Optimus Maximus achselzuckend. Eileithyia Nr. 3 reagiert erwartungsgemäß gereizt auf den erklärenden Einwurf ihres Vaters: "Was geht uns denn der ideologische Gehalt des altitalischen Bauerntums an? Ein Teller Pasta und Fagioli muß schon wenigstens drin sein, wenn wir uns hier bevölkerungspolitisch betätigen sollen!". "....Werdet geneigt und gnädig dem römischen Volk, den Quiriten, dem Kollegium der Fünfzehnmänner, mir, meinem Hause, meinem Gesinde,", beendet der Princeps seine fromme Fürbitte. Der nächste Gang gilt der Göttermutter (Nach den Akten der Saecularfeier wurde der erst am nächsten Tag serviert, aber man weiß ja, daß Götter ein anderes Zeitgefühl haben als wir).: "Juno Regina, wie es für dich in jenen Büchern vorgeschrieben ist, dieserhalb und zum Besten des römischen Volkes, der Quiriten, soll dir ein Opfer gebracht werden..." Auch hier stößt die kulinarische Lieblosigkeit der Pontefices auf Ablehnung: Zarte Rinderinnereien verlangen nach der einhelligen Meinung der Unsterblichen vernünftige Würze und Unterstützung durch eine Beilage wie Reis oder Linsen.

Nachdem man danach für eine Weile nur das Stimmengewirr heiterer Festbesucher gehört hat, beginnt ein Kinderchor zu singen: "Phoebus und du, Herrin des Walds, Diana, du des Himmels leuchtende Zier, verehrt auf ewig, gebt uns, was wir erflehn in dieser heiligen Stunde" Der Göttervater lauscht entzückt: "Hört doch, welch glockenhelle Stimmen die Buben und die Mädchen da unten haben und wie reizend sie herausgeputzt sind!". (Der gebildete Leser wird bereits bemerkt haben, daß hier die 54 ausersehenen Kinder gemeint sind, denen die Ehre zukam, das von Q. Horatius Flaccus gedichtete carmen saeculare vorzutragen.) "Schon wagen auch Pax und Fides und Honos und Pudor und die vergessene Virtus sich zurück..." Der Vers entlockt dem Sonnengott ein hämisches Lachen: "Nicht zu fassen, was dieser Vergil die Leute glauben machen will! Als ob diese Null-Bock-, No-Future-Generation von Person-Bereichseinheiten, die den ganzen Tag nur auf dem Olymp abhängt (die letzte Göttergeneration etablierte sich im griechisch-römischen Kulturkreis im 3. Jh. v.Chr.; die göttlichen Jungs und Mädels waren im Jahre 17 v.Chr. also noch voll in der Pubertät), sich freiwillig eine geballte Ladung augusteischer Political Correctness verpassen würde.

Jupiter Optimus Maximus steht inzwischen dem Ärger seiner Familienmitglieder weniger distanziert gegenüber: "Wenn ihr wollt, lasse ich es denen da unten mal ordentlich auf den Kopf regnen". "Versuch's erst gar nicht, Papa", rät ihm eine der Parzen: "An deine Affäre mit Danae erinnert sich hier noch jeder, und auf einen weiteren Ganymed, der hier oben ständig alkoholisiert den Wein neben die Silberbecher schüttet, können wir auch verzichten". Der psychologische Durchblick der Jupiter-Tochter aus zweiter Ehe holt Juno unversehens aus ihrer Verdauungslethargie. "Es ist doch immer dasselbe mit dir," herrscht sie ihren Göttergatten wütend an, "wenigstens in meiner Anwesenheit könntest du deine Finger von minderjährigen Sterblichen lassen". "Weil du schrecklich ungebildet bist, weißt du nicht, daß die Philosophen neuerdings die Entsprechung von irdischer und kosmische r Herrschaft vertreten: Nimm dir also ein Beispiel an Livia, die kriegt das mit der offenen Ehe ja auch geregelt." Unerwarteterweise erhält Juno diesmal Unterstützung von Apoll, der sie ansonsten bekanntermaßen nicht sonderlich schätzt.. "Wenn du deine egoistische Lustsuche nicht bald einstellst," beschuldigt er Jupiter, "wird es hier bald für niemanden mehr Nachtmähler bei Fackelbeleuchtung geben. Die Menschen tolerieren bei den Göttern kein unpassendes oder anstößiges Verhalten mehr. Sollten sich die Stoiker durchsetzen, finden wir uns bald alle nur noch als Substanzen, Kräfte oder Prozesse wieder. Entweder, wir passen uns den veränderten Wertvorstellungen, die da unten herrschen, an oder wir sind als anthropomorphes Identifikationsmodell bald weg vom Fenster." "Es ist schließlich deine Sache, dagegen vorzugehen; die Wissenschaft fällt in deinen Zuständigkeitsbereich", konter t der Göttervater gekränkt. "Ich hab's ja versucht", verteidigt sich der Angesprochene. "Da du dem Aeneas aber bereits geweissagt hattest, daß in der augusteischen Epoche das Goldene Zeitalter wiederkehren würde, stand dein Wort gegen meines. Augustus sah sich mit seiner Prophezeiung glücklicher Kühe, züchtiger Frauen und folgsamer Kinder auf der sicheren Seite; meine Androhungen von Sintflut, Erdbeben und schlußendlichem Weltuntergang hat er einfach weggeschmissen." (4) "Die Sterblichen werden schon sehen, was sie von der geforderten göttlichen Triebsublimierung haben," sinniert Jupiter. "Der Verzicht auf Promiskuität bedeutet den Verzicht auf eine breitgestreute Verwandtschaft und damit auf ein schier unerschöpfliches Konfliktpotential; das Theodizeeproblem und der theologisch-philosophische Dualismus sind ohne die Handlungsinterferenzen der Unsterblichen ebe nso unvermeidlich wie das Entstehen kosmologischer Modelle zur Legitimierung von Militärdiktaturen. Die Libido wird auf wenige Lebensbereiche beschränkt werden müssen; auf lange Sicht wird dies eine triste Welt der Entsagung zur Folge haben. Aus religionswissenschaftlicher Sicht sind monotrope Dauerbindungen für Götter jedenfalls nicht zu empfehlen".

"Vielleicht solltest du die Möglichkeiten autonomer Fortpflanzung nutzen, um die religiöse Evolution aufzuhalten", bemerkt Juno spitz. "Guck dir nur mal deinen Sohn Vulcan an, dann siehst du, was dabei herauskommt", spottet Jupiter. Juno läßt eine derartige Beleidigung weder auf sich noch auf ihrem behinderten Sohn sitzen; sie schüttet dem Göttervater einen Becher Wein ins Gesicht. "Kannst du deine Affekte nicht einmal unter Kontrolle halten", fragt der Sonnengott gereizt. "Zum Thema Aggression solltest du dich besser nicht äußern", schlägt Juno zurück, "Schließlich hast du dem Marsyas die Haut abgezogen, nur weil der in den kleinasiatischen Folkore-Charts auf Nr.1 stand, während du dich nur unter ferner liefen plazieren konntest." Apoll springt von seiner Kline auf - weil er sich im Zuge der hellenistischen Aufklärung als kosmischer Intellektueller verstanden wisse n will, reagiert er auf diese unerwartete Anschuldigung ziemlich empfindlich - und geht mit seinem Eßwerkzeug auf die oberste römische Staatsgöttin los. Die Eileithyien beginnen, hysterisch zu kreischen (Juno ist ihre Mutter). Jupiter vergißt seine klebrige Toga; er wirft sich auf Apoll und versucht, ihm die Gabel zu entwenden. Das gelingt ihm zwar, im Handgemenge entgleitet sie ihm jedoch.

Als sie über dem Marsfeld niedergeht, rezitiert Augustus gerade das Gebet an den Sonnengott: "Apollo, wie es für dich in jenen Büchern vorgeschrieben ist, dieserhalb und zum Besten des römischen Volkes, der Quiriten, soll dir mit 9 Kuchen und 9 Fladen und 9 Klößen ein Opfer gebracht werden; zu dir bitte und...". Da Augustus ein frommer Mann ist, opfert er natürlich capite velato (und weil er fürchten muß, daß die Götter die faden Fladen, den trockenen Kuchen und die klumpigen Klöße postwendend wieder entsorgen). Das Eßbesteck rutscht deshalb zunächst über das stoffumspannte Haupt des Princeps und bleibt schließlich in seinen Ponyfransen stecken. Weil der Mann bekanntlich über jede Menge Dignitas und Sanctitas verfügt, tut er einfach so, als hätte er nix bemerkt: "...bete ich, daß ihr Reich und Macht des römischen Volkes, der Quiriten, im Krieg und dahe im mehret, allzeit beschirmt den Latinernamen, Unversehrtheit, dauernden Sieg und Kraft dem römischen Volk, den Quiriten, verleiht ...".

"Seht mal, der Caesar hat eine Gabel über dem linken Auge", amüsiert sich eine der Parzen (5). "Waou, endlich kriegt man hier mal 'was echt Kultiges zu sehen", beurteilt die Virtus das irdische Geschehen. Apoll, der erleichtert ist, daß die Person-Bereichseinheiten sich überhaupt für irgendetwas zu begeistern vermögen, beschließt, das Eßbesteck dort zu lassen, wo es ist. Folglich gelingt es dem Princeps nicht, die Gabel nach Beendigung der Zeremonie mit Hilfe einer eilig herbeigeschafften Zange aus seinen Haaren zu entfernen. So sehr er und sein Freund Agrippa auch daran ziehen; sie bewegt sich nicht von der Stelle. Nun ist der Caesar ja bekanntlich ein Muster an Anpassungsfähigkeit; er beschließt also aus der Not eine Tugend zu machen: Er hängt sich die Zange ebenfalls in den Pony: Der klare und nüchterne Low-Tech-Style, den die Nachwelt irrtümlich als augustei schen Klassizismus bezeichnen wird, ist damit geboren!! (6). Nicht nur die Person-Bereichseinheiten wollen mit diesem neuen Trend modisch ganz weit vorn liegen - man denke nur an den Genius romanus -, sondern auch die kaiserlichen Prinzen. Die werktätige Bevölkerung kann sich damit selbstredend eher identifizieren als mit dem Neureichen-Angeberlook der dreißiger und zwanziger Jahre. Ein für diese Epoche typisches Privatporträt zeigt unsere Abb. 1.

Zweifelsfrei belegt diese Quelle, wie recht die Hermeneutik daran tut, in ihren Argumentationsgängen die Bedeutung des Nicht-Notwendigen in der Geschichte, heute oft als Kontingenz bezeichnet, zu betonen. Der augusteische Klassizismus - wollen wir ihn mal so nennen - ist kein Resultat künstlerischer Tradition, sondern ein Produkt des Zufalls. Die näheren Umstände seiner Freisetzung verweisen auf die Transzendenz: Das Porträt des Augustus konnte mit Hilfe des oben vorgelegten Zeugnisses als gottgegeben erkannt werden. Das ganze Gerede über Typologie- und Modellbildung und deren Datierung, das unsere Wissenschaft seit Jahrzehnten entzweit, war also für die Füße. Ebenfalls vom Tisch dürfte m.E. die Überzeugung von der Arbitrarität archäologischer Begrifflichkeiten sein: Wie sich gezeigt hat, handelt es sich bei den Termini technici Gabel und Zange nicht um metapohorische Kategorien, die von außen an das Material h erangetragen wurden, sondern um die Wiedergabe nackter Tatsächlichkeiten.

Aus diesen Ergebnissen ergibt sich für die Porträtforschung die Notwendigkeit einer grundlegenden Richtungsänderung; die Debatten, die die klassische Archäologie in jüngster Zeit über ihren erkenntnistheoretischen Hintergrund führt, geben jedoch Anlaß zu der Hoffnung, daß diese zumindest von einer Gruppe geistig privilegierter Altertumswissenschaftler vollzogen werden wird.

 
Abb. 1 (Foto A. Schurzig)
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